Nobelpreisökonom Holmström: "Man sollte die ganze EU überdenken"
Archivmeldung vom 19.11.2016
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 19.11.2016 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch André OttDer Nobelpreisökonom Bengt Holmström fordert nach dem Brexit radikale Veränderungen der Europäischen Union: "Man sollte die ganze EU überdenken und neu starten", sagte er der "Süddeutschen Zeitung". "Vergesst den Ehrgeiz, alles zu regulieren. Konzentriert Euch auf das Wesentliche", forderte Holmström, der im Oktober als Träger des Wirtschaftsnobelpreises 2016 benannt wurde. Wesentlich sei für ihn zum Beispiel eine gemeinsame Verteidigungspolitik in einem Zeitalter neuer Bedrohungen etwa durch Russland.
"Wenn Sie einen schlechten Vertrag sehen wollen, schauen Sie sich die EU an", sagte der Ökonom, der für seine Arbeiten zur Vertragstheorie ausgezeichnet wurde. Europa habe keinen Plan dafür gehabt, dass ein Mitglied wie Großbritannien den Club verlasse. "Das war sehr naiv." Holmström verglich die Europäische Union mit einem Unternehmen - und das fällt wenig schmeichelhaft aus: "Eine Firma steht immer im Wettbewerb, lernt daraus und verändert sich.
Die EU steht nicht im Wettbewerb. Da kann ein Haufen idiotischer Dinge wachsen." Um bei den wesentlichen Themen etwas zu erreichen, müsse Europa seine Entscheidungen beschleunigen. "Es braucht noch mehr Entscheidungen per Mehrheit. Die Vetorechte einzelner Staaten müssen beseitigt werden."
Nach einer starken Bewegung zu Mehrheitsentscheidungen bewege sich Europa gerade wieder zurück, etwa in der Handelspolitik. Auf Druck von Mitgliedsstaaten wie Deutschland ließ die Brüsseler Kommission nationale Parlamente über das Ceta-Abkommen mit Kanada entscheiden. So hätte die belgische Region Wallonie fast den Vertrag für 500 Millionen Europäer gekippt. "Wenn jeder ein Veto hat, wird das Ganze sinnlos", findet Holmström. Die EU sei zu rasch gewachsen.
Quelle: dts Nachrichtenagentur