Afghanistan und das Heroin
Archivmeldung vom 17.05.2005
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Freigeschaltet durch Michael DahlkeDer Kampf gegen den Drogenhandel und den Drogenmissbrauch gleicht dem Kampf mit einem vielköpfigen Drachen. Erfolge scheinen nur punktuell möglich, und wo ein Kopf abgeschlagen wird, wächst ein neuer nach. Wegen der mit dem Drogengeschäft verbundenen hohen Profite wird die Erzeugung von Roh-Opium laufend ausgedehnt und sucht neuen Absatz.
Ein Land, das besonders stark in den Opium-Anbau involviert ist, ist Afghanistan, das seit seiner Besetzung durch amerikanische Truppen und ihre Verbündeten weltweit zum Hauptproduzenten von Opium und damit von Heroin geworden ist. Nach Angaben der Vereinten Nationen erzeugt Afghanistan 87% der Weltproduktion an Heroin. Im Jahre 2004 wurden dort 4200 Tonnen Roh-Opium gewonnen, aus denen nach der Verarbeitung 420 Tonnen reines Heroin entstanden sind. Das sind 11% mehr als im Jahr 2003. Und der Anbau wird weiter ausgedehnt: Allein im Jahr 2004 nahm die Anbaufläche von 80000 auf 131000 Hektaren zu. Im Vergleich zum Jahr 1980, als das Land noch von sowjetischen Truppen besetzt war, ist die Opiumerzeugung um das 21fache gestiegen - das behauptet zumindest die russische Zeitung «Izvestija», die diesem Problem kürzlich einen längeren Bericht gewidmet hat, denn auch in der Russländischen Förderation nimmt die Zahl der Drogensüchtigen laufend zu. Ihre Zahl hat sich in den letzten 11 Jahren fast verzehnfacht. Die Zahl der Konsumenten wird auf mehrere Millionen geschätzt. Von ihnen sind zwei Drittel jünger als dreissig Jahre. Rauschgift ist zu einem Problem geworden, und deswegen wird der Entwicklung in Afghanistan als einem der Hauptlieferanten vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt, wobei allerdings auch in Russland selbst der Drogenanbau enorme Ausmasse angenommen hat.
Drogenanbau unter Aufsicht der Allierten
Die Produktion konzentriert sich in Afghanistan auf einige wenige Regionen. 43% entfallen auf 2 von 32 Provinzen, nämlich auf Nangarhar und Hilmend, wo umfangreiche amerikanische und britische Streitkräfte stationiert sind. Diese scheinen die Drogenbosse und die Bauern jedoch nicht zu verdriessen: Anscheinend ungestört erweitern sie die Produktion in 28 Provinzen des Landes, so der Jahresbericht 2003 des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) - das sind 10 mehr als zu Zeiten der Taliban - und fahren riesige Gewinne ein. Nach Angaben der Vereinten Nationen waren dies im Jahr 2004 mehr als 2,8 Milliarden Dollar, was etwa 61% des Bruttoinlandsprodukt Afghanistans entspricht. Das «Narko-Business» ist der entwickeltste Zweig der afghanischen Wirtschaft, und die Nachfrage ist so gross, dass die Händler schon gleich nach der Aussaat die gesamte Ernte der Mohnbauern aufkaufen. Nach Angaben der russischen «Gosnarkokontrol» (Staatliche Drogenkontrolle) gibt es im Land etwa 50 Laboratorien zur Produktion von Heroin, die ihre Fäden bis in die fernsten Regionen des Landes gesponnen haben. Sie verfügen über eine Produktionskapazität von jeweils 30 Kilogramm Heroin am Tag.
Für den Export des Heroins werden hauptsächlich 3 Routen benutzt: Die Nordroute, die durch Zentralasien und Russland führt (hier werden etwa 24% des Exports abgewickelt), die Balkanroute über den Iran, die Türkei und den Balkan (etwa 40% des Gesamtexports) und die Pakistan-Route (etwa 36%).
Geldquelle für Privatarmeen
Nach den Recherchen der «Izvestija» gibt es zwei Gründe für den starken Anstieg des Heroin-Angebots der letzten Jahre. Es sind dies die hohen Ernteerträge und das Fehlen wirksamer Massnahmen im Kampf gegen die Narko-Mafia von seiten der das Land kontrollierenden Kräfte. Während in «normalen» Jahren etwa 30 Kilogramm Roh-Opium pro Hektar geerntet werden, waren es in den Jahren 2002 und 2003 mehr als 45 Kilo. Trotz niedrigerer Hektarerträge stieg die Produktion im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2003 um weitere 17%, denn 2004 wurde die Aussaatfläche erneut um 64% ausgedehnt. Dies geschah unter den Augen der Nato-Truppen im Lande, die der Entwicklung anscheinend weitgehend tatenlos zuschauen. Dabei ist das «Narko-Business» nicht nur Einkunftsquelle der Bauern und der Narko-Mafia, sondern auch der sogenannten Feldkommandeure, die mit den aus diesem Geschäft fliessenden Mitteln ihre Privatarmeen unterhalten. Die im Land stationierten Nato-Streitkräfte unternehmen nichts dagegen, da sie um die «guten Beziehungen» zu den örtlichen Machthabern und damit um ihre Sicherheit fürchten. Dieser Vorwurf wird auch gegen das in Faisabad stationierte deutsche Kontingent erhoben. Den Besetzungstruppen kommt es zunächst in erster Linie auf die Gewährleistung der eigenen Sicherheit an. Allein im Dezember 2004 hat es in Kabul laut «Izvestija» 200 bewaffnete Zusammenstösse gegeben. Da bleibt dann wenig Kapazität, um sich um das Rauschgiftproblem zu kümmern. Immerhin haben aber die Engländer versucht, afghanische Zollbeamte und Polizisten in zweiwöchigen(!) Kursen für den Kampf gegen den illegalen Handel auszubilden und Alternativen für die Landwirtschaft aufzuzeigen. Grossbritannien hatte sich bei der Konferenz auf dem Petersberg bei Bonn verpflichtet, eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung des Drogenanbaus in Afghanistan zu übernehmen. Ein Erfolg blieb jedoch aus. Im Gegenteil: Ein Teil der hierfür bereitgestellten und von den Bauern gerne angenommenen Mittel flossen in die Erweiterung der Opium-Produktion.
Bessere Verkehrswege als Lösung?
Nach Meinung des russischen Auslandgeheimdienstes sind nicht nur viele afghanische Gouverneure, sondern auch Regierungsmitglieder und hochgestellte Beamte eng mit dem Rauschgiftgeschäft verbunden. Es sind dies jene Personen, die über die Verteilung der von den westlichen Ländern bereitgestellten Finanzmittel entscheiden. Es muss allerdings auch vermerkt werden, dass für die Vermarktung alternativer Produktionen wie Weizen die erforderliche Infrastruktur fehlt, da die Verkehrswege grossenteils zerstört und damit Transporte zu entfernteren Märkten nicht möglich sind. Im übrigen bringt der Anbau von Weizen nur ein Vierzigstel bis ein Fünfzigstel des Gewinns, den Rohopium garantiert. Die Briten haben deswegen ein Programm für die Verkehrsentwicklung des Landes entworfen, das den Anbau alternativer Agrargüter wettbewerbsfähig machen soll. Doch ist es unter den gegebenen Umständen auch zu verwirklichen?
In Russland sieht man mit Besorgnis, dass die russischen Grenzsoldaten, die die 1340 km lange tadschikisch-afghanische Grenze bisher bewachten und damit den Rauschgiftschmuggel auf der Nordroute erschwert haben, auf tadshikischen Wunsch abgezogen werden müssen. Es wird befürchtet, dass dadurch der Strom von Drogen durch Zentral-asien und Russland weiter zunimmt. Die «Izvestija» vermutet, dass diese Entscheidung unter amerikanischem Druck gefallen ist, wie sich das Drogenproblem überhaupt erst mit dem Einmarsch amerikanischer Truppen zu dem jetzt vorhandenen Ausmass entwickelt habe. Bekanntlich hatten die Taliban im Jahr 2000 den Opium-Anbau verboten und damit einen fühlbaren Rückgang der Produktion bewirkt. Nach dem amerikanischen Einmarsch lebte er jedoch sofort wieder auf und erreichte das jetzige ungeahnte Ausmass.
Machtloser Karzai
Der Erlass von Präsident Karzai vom Januar 2002, in dem er die Beendigung des Drogenanbaus angeordnet hat, ist demnach ohne Wirkung geblieben. Er sieht die Bekämpfung des Drogenanbaus als eine wichtige Voraussetzung für die Normalisierung und die Demokratisierung seines Landes. Doch ist es nicht verwunderlich, dass sein Aufruf bisher kein Gehör gefunden hat: Die Macht der Zentralregierung reicht kaum über Kabul hinaus, und die Gewinne aus dem Geschäft sind zu gross, als dass man es ohne Zwang aufgeben würde, undschliesslich hängt auch die finanzielle Existenz der «Warlords» an dieser Einkommensquelle.
Wenn man sich vergegenwärtigt, dass nach Aussage des britischen «Guardian» 90% des in Grossbritannien verkauften Heroins aus Afghanistan kommen (in anderen europäischen Ländern ist die Lage ähnlich), zeigt dies, wie wichtig entschlossene Massnahmen gegen den dortigen Drogenanbau sind. Doch auch wenn Drogenanbau und Drogenhandel entschiedener als bisher bekämpft und keine Kompromisse mit den Drogenbossen eingegangen werden, sind die Erfolgsaussichten zumindest in kurzfristiger Perspektive gering.