Kroatien: Hoffnung auf späte Gerechtigkeit für Mord an deutschem Reporter
Archivmeldung vom 19.09.2016
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMehr als 25 Jahre nach der Ermordung des deutschen Journalisten Egon Scotland im Kroatienkrieg beginnt am (morgigen) Dienstag im kroatischen Split der Prozess gegen den mutmaßlich Verantwortlichen. Eine serbische Miliz unter dem Kommando des jetzt angeklagten Dragan Vasiljkovic kontrollierte die kroatische Stadt Glina, als ein Scharfschütze dort am 26. Juli 1991 den Reporter der Süddeutschen Zeitung erschoss. Im Gedenken an Scotland gründeten Freunde und Kollegen 1993 den Verein Journalisten helfen Journalisten (http://journalistenhelfen.org), der seitdem unbürokratische Hilfe für verfolgte und bedrohte Journalisten weltweit organisiert. Auch für die Gründung der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen (ROG) ein Jahr später war sein Tod ein Anstoß.
"Der bis heute ungesühnte Mord an Egon Scotland ist zum Sinnbild für die Gewalt gegen Journalisten geworden, mit der viele moderne Kriegsherren das Recht der Öffentlichkeit auf unabhängige Informationen brutal bekämpfen", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Dass diese Tat jetzt endlich von einem Gericht aufgearbeitet wird, macht Hoffnung: Ein klares Urteil in diesem Fall wäre ein wichtiges Signal gegen die Straflosigkeit, durch die sich die Feinde der Pressefreiheit zu immer neuen Gewalttaten ermutigt fühlen."
IM KROATIENKRIEG STARBEN MINDESTENS 25 JOURNALISTEN
Die von Vasiljkovic angeführte Miliz hatte Glina am 25. Juli 1991 eingenommen. Scotland wollte dort am Tag darauf zusammen mit einem Kollegen nach einer vermissten Reporterin des österreichischen Fernsehens suchen. Wenige Hundert Meter vor der Stadt wurde er auf dem Beifahrersitz eines als Pressefahrzeug gekennzeichneten Autos tödlich von einer Kugel getroffen (http://t1p.de/31cg). Scotland war einer der ersten von mindestens 25 Journalisten, die in den jugoslawischen Zerfallskriegen von 1991 bis 1995 allein in Kroatien wegen ihrer Arbeit getötet wurden (http://t1p.de/5p4f).
Vasiljkovic, der als Milizenführer unter dem Kriegsnamen "Kapetan Dragan" bekannt wurde, lebte nach dem Ende des Krieges unter falschem Namen in Australien, dessen Staatsbürgerschaft er neben der serbischen hat. 2005 enttarnte ihn dort eine australische Journalistin (http://t1p.de/yhox). Nach neun Jahren Rechtsstreit wurde Vasiljkovic im Juli 2015 nach Kroatien ausgeliefert, wo er sich vor einem auf Kriegsverbrechen spezialisierten Gericht in der Stadt Split verantworten muss. Neben dem Mord an Egon Scotland werden ihm Folter und Mord an kroatischen Kriegsgefangenen sowie der Tod weiterer Zivilisten bei der Eroberung von Glina zur Last gelegt. Im Falle eines Schuldspruchs drohen ihm bis zu 20 Jahre Haft. Bei einer Voranhörung im Juli plädierte er auf nicht schuldig (http://t1p.de/lf05).
Auf der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit steht Kroatien auf Rang 63 von 180 Staaten. Weitere Informationen zur Situation von Journalisten in Kroatien finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/kroatien, mehr zum Einsatz von Reporter ohne Grenzen gegen Straflosigkeit für Verbrechen an Journalisten unter www.reporter-ohne-grenzen.de/themen/straflosigkeit.
Unter http://t1p.de/2tv5 finden Sie den kürzlich erschienenen ROG-Länderbericht "Kroatien: Medienfreiheit in turbulenten Zeiten" zur aktuellen Lage der Medienfreiheit in dem Balkanland.
Quelle: Reporter ohne Grenzen e.V. (ots)