IWF mahnt Deutschland zu klarer Strategie gegen Rezession
Der Internationale Währungsfonds (IWF) übt Kritik am Hin und Her der deutschen Wirtschaftspolitik und mahnt einen klaren Kurs zur Überwindung der Rezession an.
Deutschland brauche sowohl Strukturreformen, wie sie Finanzminister
Christian Lindner (FDP) fordert, als auch mehr Investitionen in die
öffentliche Infrastruktur, für die sich unter anderem
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) stark macht, sagte
IWF-Europa-Chef Alfred Kammer der "Süddeutschen Zeitung". Ohne
funktionierende Infrastruktur könne es keine produktive Wirtschaft
geben, so der IWF-Direktor. Um mehr Geld mobilisieren zu können, sei
auch eine Überarbeitung der geltenden Kreditregeln sinnvoll: "Wir als
IWF haben ja schon vor einiger Zeit vorgerechnet: Die Schuldenbremse
kann gelockert werden - und die Staatsschuldenquote sinkt trotzdem
weiter."
Auf die Frage, ob Lindner oder Habeck im Grundsatzstreit
der Bundesregierung im Recht sei, sagte Kammer, es "wäre schon viel
gewonnen, wenn die Politik klar kommunizieren würde, wie ihre Strategie
mittel- und langfristig aussieht". Das gelte insbesondere beim
klimagerechten Umbau des Landes.
"Unternehmen werden nur
investieren, wenn sie wissen, was in den nächsten zehn bis 15 Jahren
passieren soll", so der Deutsche, der seit mehr als 30 Jahren für den
Währungsfonds tätig ist und seit 2020 die Europa-Abteilung leitet. Gemäß
der jüngsten IWF-Konjunkturprognose wird die US-Wirtschaft in diesem
Jahr um 2,8 Prozent wachsen, die europäische um 0,8 - und die deutsche
gar nicht.
Kammer begründete die Wachstumsunterschiede vor allem
damit, dass europäische Unternehmen wesentlich weniger produktiv seien
als amerikanische. Der entscheidende Grund dafür sei, dass große Firmen
in den USA ihre Produkte auf einem riesigen Markt mit mehreren hundert
Millionen Menschen anbieten könnten, was die Stückkosten massiv senke.
Europäische Firmen hingegen bedienten oft nur ihre - teilweise sehr
kleinen - Heimatmärkte. Junge Unternehmen in Europa hätten zudem das
Problem, dass sie oft nicht an das nötige Kapital kämen, das sie für ihr
Wachstum brauchten.
Kammer kritisierte in diesem Zusammenhang
den Widerstand der Bundesregierung gegen die Übernahme der Commerzbank
durch den italienischen Finanzkonzern Unicredit. "Wer ernsthaft einen
funktionierenden, barrierearmen EU-Binnenmarkt will, muss auch im
Bankensektor grenzüberschreitende Fusionen und Übernahmen zulassen",
sagte er. "Wir brauchen große paneuropäische Kreditinstitute."
Quelle: dts Nachrichtenagentur