Interview des Terror-Experten Kai Hirschmann mit der Leipziger Volkzeitung zu Irak-Geiseln/Video
Archivmeldung vom 15.02.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer stellvertretende Direktor des Essener Instituts für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik, Kai Hirschmann, sieht die neue Videobotschaft als politische Demonstration der Geiselnehmer an.
Frage: Lässt das Video eher positive oder eher negative Rückschlüsse
auf die Situation der Geiseln zu?
Kai Hirschmann: Trotz der angespannten Situation für die Geiseln
bewerte ich das Video insgesamt nicht negativ. Nachdenklich stimmt
zwar, dass die Geiseln jetzt orangefarbene Overalls tragen wie die
Guantánamo-Häftlinge. Aber es gibt drei positive Aspekte: Erstens
scheint es den Entführern nicht um eine Machtdemonstration zu gehen,
sonst hätten sie die Geiseln sofort ermorden können. Vielmehr handelt
es sich - das ist der zweite Punkt - um eine politische
Demonstration, um einen Warnschuss an Deutschland. Drittens war auch
von einem Ultimatum nicht mehr die Rede. Somit ist das Video als eine
Art Beruhigung der Situation zu sehen.
Wieso müssen die Geiseln die orangefarbenen Anzüge erst jetzt tragen?
Dafür könnte es eine ganz praktische Erklärung geben: Die
Straßenbekleidung von René Bräunlich und Thomas Nitzschke taugte
nichts mehr und musste gewechselt werden. Eine andere Möglichkeit
ist, dass die Entführer ihre Geiseln genauso als politische Gefangene
betrachten wie die USA die Guantánamo-Häftlinge. Aber auch das muss
noch nichts Positives oder Negatives über das Leben der Geiseln
sagen.
Das Video ist ohne Ton ausgestrahlt worden. Ein Sprecher des
TV-Senders al Arabija hat die wesentlichen Inhalte vorgetragen.
Steckt dahinter eine bestimmte Absicht der Terroristen?
Das ist kein bewusstes Stilmittel der Entführer. Sie können kaum
damit rechnen, dass ihre Stimmen in irgendeiner Form erkannt werden.
Vielleicht haben sie aus ihrer letzten, mit martialischem Geschrei
versehenen Botschaft, den Schluss gezogen, nur zu zeigen, dass die
Geiseln noch am Leben sind. Ihre Forderungen erneuern sie mit einem
Text, der nur verlesen wird. Denn der über martialisches Schreien
ausgelöste Effekt nutzt sich schließlich auch irgendwann ab.
Gibt es einen bestimmten Grund, dass das Video dieses Mal von dem
arabischen Nachrichtensender al Arabija und nicht von al Dschasira
ausgestrahlt wurde?
Vielleicht wollten die Entführer ihre Botschaften einfach ein wenig
streuen. Es ist aber aus Sicht der Entführer auch immer die Frage,
wem kann ich meine Botschaften wie zuspielen. Zu bedenken ist die
Lage vor Ort. Diese Leute werden gejagt - von der irakischen Polizei
genauso wie von rivalisierenden Gruppen. Es nutzt den Geiselnehmern
nichts, wenn das Video verloren geht. Man könnte natürlich vermuten,
dass sie nicht einem Sender alleine alles geben wollten. Aber die
Erklärung ist wohl viel pragmatischer: Dieses Mal war es wohl einfach
sicherer, das Video al Arabija zuzuspielen.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung