Ex-Ministerpräsident Stoiber sieht angloamerikanischen Wachstumsbegriff durch Wirtschaftskrise völlig diskreditiert
Archivmeldung vom 08.05.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer frühere bayerische Ministerpräsident und heutige Leiter der EU-Antibürokratiegruppe, Edmund Stoiber, hat sich beim WDR Europa Forum in Berlin überzeugt gezeigt, dass sich die Wirtschaftswelt nach der derzeitigen Krise drastisch verändert haben dürfte.
"Am Ende werden wir einen anderen Wachstumsbegriff haben", meinte der CSU-Politiker und war überzeugt, dass die angloamerikanische Auffassung des höchstmöglichen Gewinns durch große Risikobereitschaft völlig diskreditiert sei. Stoiber mahnte an, der Wirtschaft gerade in einer schwierigen Lage unnötige Bürokratie zu ersparen. "Das wäre ein echtes Konjunkturprogramm, das nichts kostet und keine Gegenfinanzierung benötigt."
In der Klimapolitik bedürfe es weiteren Drucks auf die USA und Asien, um zu Fortschritten zu gelangen. Die Vereinigten Staaten zahlten jetzt die Zeche für Versäumnisse der Vergangenheit. "Die Bush-Regierung hat eine anti-ökologische Politik betrieben. Und die Amerikaner bekommen jetzt die Quittung dafür, was man am Zustand ihrer Autoindustrie ablesen kann", so der CSU-Politiker. An der Atomenergie führt nach Stoibers Einschätzung auch in Zukunft kein Weg vorbei. "Es darf nicht so sein, dass andere Staaten in der Kernenergie vorangehen, und Deutschland nicht mehr in diese Forschung investiert und am Ende noch nicht einmal mehr die eigenen Kraftwerke reparieren kann."
"Wir brauchen eine Neuausrichtung der kompletten Wirtschaft. Es ist eine ökologisch-soziale Revolution nötig", äußerte sich dagegen die Fraktionsvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen im Bundestag, Renate Künast. Die Welt habe in den vergangenen Monaten zum Teil schmerzhaft erfahren, dass Ökonomie und Ökologie eine untrennbare Einheit darstellten.
Der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament, Martin Schulz, forderte als Konsequenz aus der Finanzkrise rigidere gesetzliche Bestimmungen. "Wir brauchen radikalere Regeln", so der Sozialdemokrat. In der Europäischen Union müsse man lernen, dass es keinen einheitlichen Weg bei der Bekämpfung der Krise geben könne. Deutschland etwa stünden andere Möglichkeiten und Wege zur Verfügung als etwa Ungarn. Vor zu scharfen wirtschafts- und finanzpolitischen Eingriffen warnte ihrerseits die stellvertretende Vorsitzende der liberalen Fraktion im EU-Parlament, Silvana Koch-Mehrin. "Zu viele Regeln ersticken die Möglichkeiten der sozialen Marktwirtschaft", verdeutlichte sie ihren Standpunkt. Der Vorsitzende der Linken-Fraktion im Bundestag, Gregor Gysi, warnte davor, mit nationalen Schritten Fehlentwicklungen korrigieren zu wollen. "Steueroasen kann man nur gemeinsam, niemals als Einzelstaat austrocknen."
Quelle: WDR