Schäuble will Europa zu wahrer Europäischer Union weiterentwickeln
Archivmeldung vom 13.10.2012
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtBundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sieht im Friedensnobelpreis für die EU einen "Ansporn", das geeinte Europa zu einer "wahren Europäischen Union" weiterzuentwickeln. 55 Jahre nach der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft stünden die Völker Europas so gut da wie noch nie in ihrer oft blutigen Geschichte, schreibt Schäuble in einem Beitrag für das Nachrichtenmagazin "Focus".
"Aber das europäische Projekt ist noch lange nicht am Ziel. Die Globalisierung, die nachhaltige Sicherung des Wohlstands und der Schöpfung, die Verbreitung von Sicherheit und Demokratie auch über Europa hinaus bleiben beispielsweise große Herausforderungen, die wir nur in einem geeinten Europa werden bewältigen können. Ein Europa, welches noch enger zusammenrücken muss und wird."
Der Friedensnobelpreis für die Europäische Union sollte es den Europäern ermöglichen, "dass wir unseren Kopf einmal über den Tellerrand von Programmen und Defiziten heben". Dann sollte "uns bewusst werden, was wir schon alles erreicht haben, noch alles erreichen können und unverzagt erreichen werden", schreibt der Bundesfinanzminister. Der Preis sei Ansporn, "uns einmal für eine kurze - aber gerne auch längere - Zeit von den täglichen Debatten um Zinsen und Ratings, um Troikas und Spreads zu lösen und uns auf das zu konzentrieren, was wichtig ist: unser großes gemeinsames Projekt eines geeinten Europas, einer wahren Europäischen Union."
Die Begründung "keine Kriege mehr in Europa" erscheine 67 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg zwar zu selbstverständlich als Argument. Doch diese lange Friedensphase habe das geeinte Europa erreicht. "Wohlstand, Frieden und Freiheit sind Selbstverständlichkeiten geworden", so Schäuble. "Sie bleiben aber dennoch großartige und oft schmerzlich vermisste Errungenschaften, wie wir unschwer erkennen können, wenn wir um uns blicken."
Papier fordert Zurückhaltung bei europäischer Integration
Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hat zur Zurückhaltung bei der europäischen Integration aufgerufen. "Man kann nicht blindlings alles zentralisieren und immer nur an den weiteren Ausbau Europas denken", sagte Papier der "Welt" (Samstagausgabe).
"Es ist auch zu überlegen, welche Regelungskompetenzen von der europäischen Ebene zurückgeholt werden können." Als Beispiel nannte Papier den Umwelt- und Verbraucherschutz. "Europa sollte auch etwas bescheidener werden." Die Deutschen und andere europäische Völker "sehen die europäische Integration eher skeptisch - als Projekt der Eliten", sagte Papier. "Ich warne davor, die Europäer zu überfordern. Die überaus segensreiche europäische Idee darf nicht an einer Überdimensionierung Europas und seiner Staatlichkeit scheitern."
Auf absehbare Zeit werde es keine Vereinigten Staaten von Europa geben, so der ehemals höchste Richter der Bundesrepublik. "Deutschland müsste sich in einem unter Umständen langwierigen Prozess eine völlig neue, das bewährte Grundgesetz ersetzende Verfassung geben. Alles käme auf den Prüfstand - auch die Bundesstaatlichkeit selbst. Und am Ende müsste das Volk darüber abstimmen."
Lammert spricht sich für EU-Erweiterungsstopp aus
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat sich für einen Erweiterungsstopp bei der Europäischen Union (EU) ausgesprochen. "Für die unmittelbar bevorstehende Zukunft halte ich die Europäische Union nicht für erweiterungsfähig", sagte der CDU-Politiker der "Welt am Sonntag" (14. Oktober 2012). "Wir haben so viele dringende Aufgaben in der Konsolidierung der Gemeinschaft zu erledigen, dass wir nicht erneut den Ehrgeiz der Erweiterung an die Stelle der notwendigen Stabilisierung treten lassen sollten."
Konkret warnte Lammert vor einem raschen Beitritt Kroatiens. "Wir müssen - gerade nach den Erfahrungen mit Bulgarien und Rumänien - den jüngsten Fortschrittsbericht der EU-Kommission ernst nehmen: Kroatien ist offensichtlich noch nicht beitrittsreif", erklärte der Parlamentspräsident. Die Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien hätten eine Beitrittsperspektive, müssten die Voraussetzungen für einen Beitritt zur EU aber selbst schaffen. "Dabei darf die gute Absicht nicht an die Stelle der nachgewiesenen Veränderungen treten", fügte er hinzu.
Gleichzeitig sprach sich Lammert dafür aus, den europäischen Integrationsprozess fortzusetzen. "Das Ungleichgewicht zwischen der ökonomischen und der politischen Integration, das zu den unerfreulichen Turbulenzen geführt hat, muss jedenfalls dringend beseitigt werden", betonte der Bundestags-Präsident. "Wir müssen in allen Euro-Mitgliedsstaaten eine gemeinsame Haushalts- und Fiskalpolitik realisieren."
Der europäische Fiskalpakt habe dazu wichtige Voraussetzungen geschaffen. Nun müssten sich die Europäer "auf ein Verfahren verständigen, wie die vertraglich vereinbarte Haushaltsdisziplin durch die Gemeinschaft kontrolliert, notfalls korrigiert und gegebenenfalls auch sanktioniert werden kann". Dazu müsse man die jeweiligen parlamentarischen Verfahren auf nationaler und europäischer Ebene verbinden.
"Ich bin zuversichtlich, dass wir zu einer guten Lösung kommen", sagte Lammert, der gleichzeitig vor einer Verrohung der Umgangsformen in der EU warnte. "Wir müssen auf beiden Seiten aufpassen, dass nicht eine Eskalation von Verdächtigungen und Beschimpfungen stattfindet", so Lammert. Andernfalls könnte nicht nur der gute Wille, sondern auch die Fähigkeit zur Hilfe strapaziert werden, die in allen beteiligten Ländern am Ende von parlamentarischen Mehrheitsentscheidungen abhängt.
Quelle: dts Nachrichtenagentur