Bundestag will Holodomor als Völkermord an Ukrainern anerkennen
Archivmeldung vom 25.11.2022
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 25.11.2022 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Sanjo BabićDer Bundestag will die von Stalin verursachte Hungersnot in der Ukraine in den Jahren 1932/33 in einer Resolution als Genozid am ukrainischen Volk anerkennen. Das geht aus einem gemeinsamen Antrag von SPD, Grünen, FDP und CDU/CSU hervor, über den die FAZ in ihrer Freitagsausgabe berichtet.
Der Text wurde zum Gedenktag für die auf Ukrainisch als "Holodomor" bezeichnete Katastrophe fertiggestellt, der in der Ukraine immer am letzten Samstag im November begangen wird. Der Holodomor, dem in der Ukraine etwa vier Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind, reihe sich ein "in die Liste menschenverachtender Verbrechen totalitärer Systeme, in deren Zuge vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Europa Millionen Menschenleben ausgelöscht wurden", heißt es in dem Resolutionsentwurf, über den kommende Woche abgestimmt werden soll. Das Verbrechen sei Teil der gemeinsamen Geschichte als Europäer.
Dieses "Menschheitsverbrechen" sei in Deutschland und der Europäischen Union aber bisher wenig bekannt, heißt es im Text der Resolution. Die Abgeordneten fordern die Bundesregierung auf, zur Verbreitung des Wissens über den Holodomor und zum Gedenken an dessen Opfer beizutragen. "Mehr denn je treten wir in diesen Tagen des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine, der gleichzeitig einen Angriff auf unsere europäische Friedens- und Werteordnung darstellt, dafür ein, dass für Großmachtstreben und Unterdrückung in Europa kein Platz mehr sein darf", heißt es im Text der Resolution. "Putin steht in der grausamen und verbrecherischen Tradition Stalins", sagte der Initiator des Antrags und Vorsitzende der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe im Bundestag, Robin Wagener (Grüne).
"Heute wird die Ukraine erneut mit russischem Terror überzogen. Erneut sollen durch Gewalt und Terror der Ukraine die Lebensgrundlagen entzogen, das gesamte Land unterworfen werden."
Die politische Einordnung des Holodomors als Völkermord sei ein "Signal der Mahnung". Ähnlich äußerte sich der menschenrechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion Knut Abraham (CDU): "Diese Anerkennung ist um so wichtiger, weil die Ukraine heute erneut Zielscheibe einer russischen Aggression geworden ist." Die Hungersnot 1932/33 war eine Folge von Entscheidungen der sowjetischen Parteiführung.
Nachdem in der Sowjetunion bereits 1931/32 infolge der Kollektivierung der Landwirtschaft und der Zwangsrequirierung von Lebensmitteln zahlreiche Menschen verhungert waren, verschärfte die Parteiführung unter die Stalin diese Maßnahmen im Herbst 1932 weiter. In Gebieten, die die vorgegebenen Abgabenormen für Getreide nicht erfüllten, wurden Lebensmittel vollständig konfisziert, die Hungergebiete wurden abgeriegelt.
Die Ukraine wirbt seit Jahren für eine Anerkennung des Holodomors als Völkermord in Parlamentsresolutionen. Russland lehnt eine solche Einordnung kategorisch ab, da dem großen Hunger in der Sowjetunion Anfang der dreißiger Jahre nicht nur Ukrainer, sondern auch Russen, Kasachen, Wolgadeutsche und Angehörige anderer Völker zum Opfer gefallen sind. Insgesamt wird die Zahl der Hungertoten jener Jahre auf etwa sieben Millionen Menschen geschätzt. In der Resolution des Bundestags wird darauf hingewiesen, dass in der Ukraine gleichzeitig mit dem künstlich herbei geführten Hunger auf dem Land in den Städten Intellektuelle verfolgt wurden, "mit dem Ziel diese als Träger kultureller Identität zu vernichten". Während in der Ukraine seit Jahren zum Holodomor geforscht werde, "forciert die autoritäre Staatsführung in Russland unter Wladimir Putin eine ideologisierte Geschichtspolitik, die eine Aufarbeitung der stalinistischen Verbrechen, einschließlich des Holodomors, verhindert", heißt es in dem Text. In der Sowjetunion war der Holodomor ein Tabu, seine Erwähnung wurde verfolgt.
Quelle: dts Nachrichtenagentur