„Panorama“: Deutsche Behörden haben Bedrohung durch selbst gebastelte Terroristen-Sprengstoffe verschlafen
Archivmeldung vom 05.08.2005
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Bedrohung durch selbstgebastelten Chemie-Sprengstoff, wie er mit großer Wahrscheinlichkeit bei den Londoner Anschlägen am 7. Juli verwendet wurde, ist von deutschen Behörden „fünf Jahre lang verschlafen“ worden, so Klaus Jansen, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, in dem NDR Polit-Magazin „Panorama“ am Donnerstag den, 4. August, 21.45 Uhr,Das Erste.
Jansen weiter: „Leider ist es offensichtlich erst durch
die aktuellen Anschläge in London ins Bewusstsein der
Sicherheitspolitiker gekommen, dass es hier Handlungsbedarf gibt.
"Am Tatort der Londoner Anschläge fanden die Ermittler Chemikalien,
die etwa beim Sprengstoff TATP eingesetzt werden. TATP lässt sich aus
leicht erhältlichen Bestandteilen privat herstellen.
Nach einem internen BKA-Lagebericht zu den Londoner Anschlägen,
der „Panorama“ vorliegt, haben andere Länder die Gefahr durch TATP
schon früh erkannt und damit begonnen, Hunde speziell auf das
Erkennen der Substanz zu trainieren. Obwohl der Sprengstoff in
Deutschland seit Jahren bekannt ist, gibt es hierzulande bis heute
noch keinen einzigen Spürhund, der auf TATP konditioniert wurde.
Auch an Flughäfen kann TATP bisher kaum erkannt werden: „TATP sieht
aus wie Zucker, es kann weder von Röntgenmaschinen noch von
Massenspektromaten erkannt werden“, so der israelische
Chemieprofessor Ehud Keinan in „Panorama“.
Dabei gab es bereits im Jahr 2000 einen Fall, bei dem die
verantwortlichen Stellen hätten aufhorchen müssen: Eine von
Frankfurt aus operierende Gruppe algerischer Extremisten plante
damals einen Anschlag auf den Straßburger Weihnachtsmarkt. Den
Sprengsatz mischten die Täter aus frei erhältlichen Chemikalien
zusammen – es war TATP. Das Attentat wurde verhindert, die Täter
wurden gefasst und verurteilt. Doch eine akute Bedrohung durch
weitere Attentäter mit selbst gemischten Sprengstoffen sahen Politik
und Sicherheitsbehörden offenbar nicht.
Dem Bundeskriminalamt (BKA) sind seit 1985 insgesamt 153 Fälle
bekannt, in denen TATP in Deutschland als Tatmittel festgestellt
werden konnte.
Professor Ehud Keinan von der Technion-Universität Haifa befasst
sich seit mehr als 18 Jahren intensiv mit der Erforschung von TATP.
Seinen Erkenntnissen nach reicht ein halbes Kilogramm TATP aus, um
ein Flugzeug abstürzen zu lassen. „Es ist nicht die Frage ob,
sondern wann so etwas passieren wird“, so Keinan. Als der Experte
vor kurzem in Deutschland bei einer Tagung vor Sicherheitsexperten
über TATP berichtete, stieß er auf ungläubiges Staunen. „Mein
Eindruck war: In Deutschland hält man TATP nicht für eine reale
Bedrohung. Und deshalb wurde hier bisher nichts oder beinahe nichts
unternommen.“
Quelle: Pressemitteilung NDR