Macron und weitere Regierungschefs im Visier von "Pegasus"
Archivmeldung vom 20.07.2021
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Freigeschaltet durch Anja SchmittDer französische Präsident Emmanuel Macron ist laut eines Medienberichtes ins Visier der Spähsoftware "Pegasus" geraten. Eine marokkanische Behörde habe ihn 2019 angeblich ausforschen wollen, wie eine Liste geleakter Telefonnummern zeige, berichten "Süddeutsche Zeitung", NDR, WDR und die Wochenzeitung "Die Zeit".
Auch die Mobilnummer von Charles Michel, damals Belgiens Premierminister und heute Präsident des Europäischen Rates, soll ein potenzielles Ziel marokkanischer Behörden gewesen sein. Bei der Liste handelt es sich den Recherchen zufolge um die Nummern potenzieller Ausspäh-Ziele, die von Kunden der israelischen Spionagefirma NSO Group vorausgewählt worden sein sollen. Die Firma widerspricht dieser Darstellung aber. Insgesamt finden sich laut des Recherchenetzwerks im Leak des Pegasus-Projekts die Telefonnummern von 14 Staats- oder Regierungschefs, die während ihrer Amtszeit Opfer des Handy-Spions geworden sein könnten.
Betroffen seien unter anderem auch der jemenitische Premierminister Ahmed Obeid bin Daghr, Saad Hariri aus Libanon, Ruhakana Rugunda aus Uganda, der algerische Premier Noureddine Bedoui, Mustafa Madbuli aus Ägypten, Premierminister Saad-Eddine El Othmani aus Marokko und Imran Khan, der Regierungschef Pakistans, heißt es. Die Pariser Non-Profit-Redaktion Forbidden Stories und die Menschenrechtsorganisation Amnesty International bekamen Zugang zu den sensiblen Daten, die sie dann mit der "Zeit", der "Süddeutschen Zeitung", NDR und WDR sowie 14 weiteren Medien aus zehn Ländern geteilt haben. Emmanuel Macron ist bekannt dafür, seine Mobiltelefone exzessiv zu nutzen, auch für Regierungsaktivitäten. In den Pegasus-Projekt-Daten findet sich nun eine Telefonnummer, die er nach Informationen der Zeitung "Le Monde" mindestens seit dem Jahr 2017 verwendet.
Auch in den vergangenen Tagen war Macron auf dieser Nummer erreichbar. Auf Anfrage wollte sich der Elysée-Palast nicht dazu äußern. In den Daten finden sich weitere Nummern hochrangiger französischer Politiker, etwa die des damaligen Premierministers Edouard Philippe sowie von etlichen Ministern seiner im ersten Halbjahr 2019 amtierenden Regierung. Die marokkanische Botschaft in Paris erklärte, es handele sich um "unbegründete Anschuldigungen", die man schon in der Vergangenheit "kategorisch zurückgewiesen" habe.
Die Regierung des Königreichs und ihre Behörden hätten "niemals Computersoftware erworben", um "Kommunikationsgeräte zu infiltrieren, noch haben die marokkanischen Behörden jemals auf solche Handlungen zurückgegriffen", heißt es in der Stellungnahme.
Die NSO teilte auf Anfrage mit, sie könne ausschließen, dass Macron mögliches Ziel eines NSO-Kunden sei, jetzt oder früher. Derzeit ist noch unklar, ob die Telefone der betroffenen Politiker jeweils tatsächlich mit der Spähsoftware infiziert wurden. Dieser Nachweis ließe sich nur durch eine forensische Untersuchung der Geräte führen, der bislang keiner der Politiker offiziell zugestimmt hat.
Dagegen wollen Spezialisten von Amnesty International auf den Handys französischer Journalisten Spuren der NSO-Spähsoftware Pegasus gefunden haben. Auch hinter diesen Angriffen wird eine marokkanische Behörde vermutet. Smartphones, auf denen Pegasus erfolgreich platziert wurde, können nahezu lückenlos abgehört und ferngesteuert werden. So lassen sich etwa Kamera und Mikrofon heimlich einschalten.
Das Programm umgeht auch die Verschlüsselung ansonsten als sicher geltender Messengerdienste.
Nach Angaben der NSO Group ist die Software für die Überwachung von Terroristen und mutmaßlichen Kriminellen gedacht. Das Ausspähen von Politikern fällt demnach nicht unter die erlaubte Nutzung. Die israelische Firma lässt erklären, weder zu ihren Kunden Stellung zu nehmen, noch Zugriff auf deren Zielauswahl zu haben. Nach eigenen Angaben verkauft die NSO Pegasus-Lizenzen nur an staatliche Stellen. Man wehre sich gegen falsche Anschuldigungen, werde aber mutmaßliche Fälle von Missbrauch ihrer Software überprüfen und sich gegebenenfalls von Kunden trennen, was in der Vergangenheit bereits geschehen sei. Staatliche Stellen, die über Pegasus verfügen, interessierten sich offenbar auch für den irakischen Präsidenten Barham Salih und den Präsidenten Südafrikas, Cyril Ramaphosa.
Der ehemalige EU-Kommissionspräsident Romano Prodi geriet den Recherchen zufolge ebenfalls angeblich ins Visier marokkan
ischer Behörden. Der ehemalige mexikanische Präsident Felipe Calderón wiederum wurde offenbar von Stellen seines eigenen Landes angegriffen, allerdings nach seiner Amtszeit. Sogar eine Nummer, die nach den Projekt-Pegasus-Recherchen dem marokkanischen König Mohammed VI. zuzuordnen ist, findet sich auf der Liste der 50.000 potenziellen Ausspähziele. Auch in diesem Fall war es offenbar ein Geheimdienst des eigenen Landes, der sich für den Monarchen interessierte. Die NSO teilte mit, auch der Monarch sei nie Ziel eines ihrer Kunden gewesen. Insgesamt konnte das Pegasus-Projekt-Team nach eigenen Angaben die Nummern von Regierungsmitgliedern aus mehr als 20 Ländern sowie von Hunderten Regierungsbeamten aus mehr als 30 Ländern identifizieren. Auch globale Organisationen sind demnach potenzielle Ziele staatlicher Überwachung.
Die Handynummer des Äthiopiers Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation WHO, ist im Leak ebenso gelistet wie die verschiedener UN-B
otschafter und anderer Diplomaten. Auch in diesem Fall widersprach NSO ausdrücklich irgendeiner Beteiligung eines ihrer Kunden. Ghebreyesus scheint ebenso wie die französischen und algerische Ziele von marokkanischen Behörden ins Visier genommen worden zu sein, Pakistans Regierungschef Imran Khan von indischen Behörden. Saad Hariri (Libanon) und Barham Salih (Irak) scheinen das Interesse sowohl von Saudi-Arabien als auch der Vereinigten Arabischen Emirate geweckt zu haben, Ägyptens Premier sollen allein die Saudis, den jemenitischen Regierungschef hingegen nur die Emirate auf dem Radar haben.
Der Präsident von Südafrika und der damalige Premierminister von Uganda wurden den Recherchen zufolge von entsprechenden Stellen in Ruanda anvisiert - allerdings bestreitet Ruanda, Pegasus überhaupt zu nutzen. Die Regierungen von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten ließen Anfragen zur Nutzung von NSO-Software unbeantwortet. Aus Indien kam die Erklärung, die indischen Behörden würden nach Recht und Gesetz operieren.
Quelle: dts Nachrichtenagentur