Wissenschaftlicher Beirat von Attac kritisiert EU-Reformvertrag
Archivmeldung vom 17.10.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer Wissenschaftliche Beirat von Attac Deutschland kritisiert den Entwurf für den so genannten EU-Reformvertrag, der auf dem EU-Gipfel von Donnerstag bis Freitag in Lissabon unterzeichnet werden soll. Dabei handelt es sich nach Ansicht der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Wesentlichen um den Verfassungsvertrag, der von der Bevölkerung Frankreichs und der Niederlande per Referendum abgelehnt wurde.
Um dieses Vertragwerk dennoch durchzubringen, seien die Staats-
und Regierungschefs auf einen Trick verfallen: "Nach zweijähriger
Denkpause entschloss man sich, lediglich den Namen zu ändern - an der
demokratiefeindlichen, neoliberalen und militaristischen Substanz wird
jedoch festgehalten", sagte der Ökonom Professor Jörg Huffschmid.
Wirtschafts- und gesellschaftspolitisch werde die Europäische Union
weiterhin auf eine neoliberale Ausrichtung festgelegt. Zu kritisieren
seien insbesondere die einseitige Verpflichtung der Wirtschafts- und
Währungspolitik auf den "Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit
freiem Wettbewerb" sowie die vorrangigen Ziele Preisstabilität und
Haushaltsausgleich. Auch die Militarisierung der Europäischen Union
werde weiter vorangetrieben. "Aufrüstung wird durch den Reformvertrag
zur Pflicht, die Mitgliedstaaten müssen ihre militärischen Fähigkeiten
schrittweise verbessern", kritisierte Tobias Pflüger von der
Informationsstelle Militarisierung.
Mit diesem Vertrag würden auch die sozialen Grundrechte nicht
gestärkt. Es werde kein grenzüberschreitendes, EU-weites oder auch nur
ein Streikrecht mit grenzüberschreitender Wirkung geben. Aussperrung
dagegen werde rechtlich geschützt. Der Reformvertrag schaffe kein
demokratisches Europa, das Demokratiedefizit blieb bestehen. Das
Europäische Parlament erhält nicht einmal die gleichen
gesetzgeberischen Befugnisse wie der Ministerrat und wird in vielen
und entscheidenden Bereiche lediglich angehört.
"Statt diesen Vertrag jetzt im Eilverfahren durchzupeitschen, wäre es
sinnvoll, eine breite Diskussion über seinen Inhalt und über mögliche
Alternativen einer demokratischen Verfassung für Europa zu
organisieren", forderte Andreas Fisahn, Professor für Öffentliches
Recht und ebenfalls Mitglied des Attac-Beirates. Die Regierungen und
die EU sollten Mittel für ausgewogene Informationen von Bürgerinnen
und Bürgern zur Verfügung stellen und eine konsolidierte Fassung des
Reformvertrages sowie Alternativentwürfe aus der Zivilgesellschaft
veröffentlichen. Nach gründlicher Diskussion sollte der Text
überarbeitet und den Bürgerinnen und Bürgern per Referendum in jedem
EU-Mitgliedstaat zur Abstimmung vorgelegt werden.
Der Wissenschaftliche Beirat von Attac ruft die Staats- und
Regierungschefs auf, den EU-Reformvertrag in Lissabon nicht zu
unterzeichnen.
(Alle drei zitierten Wissenschaftler sind Mitglieder des
Wissenschaftlichen Beirates von Attac Deutschland)
Quelle: Pressemitteilung Attac Deutschland