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Politologe Münkler: Europäer müssen eine glaubwürdige nukleare Option haben

Archivmeldung vom 01.03.2022

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 01.03.2022 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Sanjo Babić
Nur geisteskranke Menschen und Organisationen würden Atombomben nutzen (Symbolbild)
Nur geisteskranke Menschen und Organisationen würden Atombomben nutzen (Symbolbild)

Bild: Eigenes Werk /OTT

Die europäischen Staaten brauchen eine "strategische Autonomie", eine Fähigkeit zur Abschreckung gegenüber jenen, die ihre Freiheit bedrohen könnten: Das fordert der Politologe Herfried Münkler im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung.

Für den emeritierten Professor für politische Ideengeschichte an der Berliner Humboldt-Universität könnte das Nuklearwaffen einschließen. "Die Europäer brauchen strategische Autonomie, die Fähigkeit einer Abschreckung gegenüber jenen, die ihre Werte und ihre Freiheit bedrohen. Das könnte bis zu dem Punkt gehen, dass die Europäer eine eigene, glaubwürdige nukleare Option haben müssen", sagte Münkler. Seiner Meinung nach hat sich diese Denkrichtung schon während der Regierungszeit des 2021 abgewählten US-Präsidenten Donald Trump aufgedrängt.

Herfried Münkler sieht auf absehbare Zeit keine Perspektive für eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur des Westens und Russlands. "Die einzige Chance bestünde darin, wenn es gelänge, Wladimir Putin vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen der Führung eines Angriffskrieges anzuklagen, und ganz Russland würde applaudieren. Das wäre die Voraussetzung dafür, gegenüber einem Russland ohne Putin wieder Vertrauen aufzubringen", sagte der Politikwissenschaftler dazu. Vertrauen sei die Voraussetzung für jene Politik der gegenseitigen Abhängigkeit, auf die man sich mit Nord Stream 1 und 2 eingelassen habe. "Diejenigen, die diese Politik betrieben haben, stehen im Ruch der Naivität. Das wird so schnell keiner mehr machen", erteilte Münkler diesem Konzept eine klare Absage.

Nach Münklers Analyse bedeutet der Krieg in der Ukraine die Wiederkehr von Kriegen um Territorien. Damit würden vor allem Vorstellungen des Westens, Geschichte als Fortschritt zu verstehen, enttäuscht. "Im Augenblick ist eine Sicht auf Geschichte als Abfolge wiederkehrender Konstellationen angemessener als ihre Beschreibung als Fortschritt, was nicht heißt, dass bestimmte normative Sichtweisen auf Geschichte nicht weiterhin als Maßstab an die Geschichte herangetragen werden sollten", sagte Münkler. Zum Vergleich des Vorgehens von Wladimir Putin mit dem Überfall Adolf Hitlers auf Polen 1939 sagte Münkler weiter: "Dieser Vergleich ist deshalb nicht uninteressant, weil die aufgerüstete Wehrmacht Hitlers am Anfang große Erfolge erzielt hat, im Lauf der Zeit aber dem Gegenstoß der Sowjets und dann des Westens erlegen ist. Man kann nicht ausschließen, dass es Putin jetzt ähnlich ergehen wird, aber aus anderen Gründen. Man wird aber wohl ausschließen können, dass es einen Krieg von den Ausmaßen des Zweiten Weltkrieges in Europa geben wird."

Herfried Münkler hatte bis 2018 eine Professur für politische Ideengeschichte an der Humboldt-Universität in Berlin inne. Zu seinen wichtigen Büchern gehören "Marx, Wagner, Nietzsche. Welt im Umbruch" (2021), "Der Dreißigjährige Krieg. Europäische Katastrophe, deutsches Trauma" (2017) und "Der große Krieg. Die Welt 1914-1918" (2013).

Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung (ots)


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