Russland fürchtet Überschwappen chinesischer Giftwelle
Archivmeldung vom 24.11.2005
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer Chemieunfall im Nordosten Chinas beunruhigt jetzt auch den WWF im Nachbarland Russland. Vor elf Tagen hatte es eine Explosion in einer Chemiefabrik in der Provinz Jilin gegeben. Nach offiziellen Angaben starben bei dem Unfall fünf Menschen, sieben weitere wurden verletzt und mehrere 10.000 evakuiert. Durch die Explosion flossen große Mengen giftiger Stoffe, vermutlich vor allem Benzol in den Songhua Fluss, einen Nebenfluß des Amur.
In der chinesischen Millionenstadt Harbin wurde inzwischen das
Wasser abgedreht, da über 70 Prozent des Trink- und Nutzwassers aus
dem Fluss entnommen werden. Der WWF fürchtet, dass das Ausmaß der
Katastrophe unterschätzt wurde und das Gift bald den Amur, einen der
arten- und fischreichsten Flüsse der Welt ereichen könnte.
Der Songhua Fluss ist einer der am stärksten verschmutzten
Zuflüsse des Amur. Der Großteil der städtischen Abwässer fließt
ungeklärt in den Fluss. Kernkraftwerke heizen das Wasser auf und die
petrochemi-sche und Papierindustrie entledigt sich eines Teils ihrer
Abfälle über die Flüsse. "Legt man eine Fließgeschwindigkeit von 50
Kilometer pro Tag zugrunde, könnte die aktuelle Giftwelle am 3.
Dezember in Khabarovsk ankommen und danach in den Amur fließen",
rechnet Alexey Kokorin vom WWF vor. "Wir müssen alles tun, damit es
nicht so weit kommt." Dafür benötige man als erstes die nötigen
Informationen. Doch die chinesischen Behörden halten sich bislang
bedeckt.
Auch der WWF China fordert eine grenzübergreifende
Zusammenarbeit von Industrie und Behörden. "Die
Sicherheitsbestimmungen müssen durch regelmäßige Überprüfungen
verschärft werden, um Mensch und Natur besser vor solchen Unfällen
schüt-zen zu können", betont Dr. Li Lifeng, Leiter des
Wasserprogramms beim WWF China.
Die aktuelle Situation ist komplex. Der krebserregende Stoff Benzol
löst sich nur schwer in Wasser, aber sehr gut in menschlichem und
tierischem Fettgewebe. Der Stoff beginnt sich im Wasser erst bei
einer Temperatur von 20 Grad Celsius zu lösen. Die Unfallregion
gehört jedoch zu den kältesten in ganz China. Das Wasser im Amur ist
nicht einmal zehn Grad warm. Angesichts des bevorstehenden Winters
ist mit Eis zu rechnen, was die Giftbekämpfung zusätzlich erschweren
würde. Der Unfall erinnere an den Sandoz Chemie-Katastrophe in Basel
am Rhein. Damals verseuchten Pestizide und andere Chemikalien den
Fluss auf über einer Länge von über 100 Kilometern. Fische und
Kleinlebewesen wurden massiv dezimiert.
Die Wasserversorgung gehört zu den größten Umweltproblemen Chinas.
Das rasante Wirtschaftswachstum und die zunehmende Bevölkerung
setzen die Ressourcen des Landes massiv unter Druck.
In den
vergangenen 50 Jahren hat sich die Bevölkerung in den
Wassereinzugsgebieten der großen Flüsse nahezu verdoppelt.
Unbehandelte Abwässer und giftige Einleitungen der Industrie belasten
nach Einschätzung des WWF mindestens 70 Prozent der Flüsse. Es
mangele an einer nationalen Gesetzgebung. Die Provinzen seien oft
überfordert.
Quelle: Pressemittelung WWF World Wide Fund For Nature