Reporter ohne Grenzen: Überfälle auf Journalisten vor der Wahl in der Ukraine
Archivmeldung vom 25.10.2012
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 25.10.2012 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittVor der Parlamentswahl in der Ukraine am Sonntag (28. Oktober) stehen Journalisten dort stark unter Druck. In den vergangenen drei Monaten wurden sechs Reporter Opfer schwerer Gewalttaten, einer von ihnen starb an seinen Verletzungen. Mindestens 25 Berichterstatter wurden zum Teil mit Gewalt an ihrer Arbeit gehindert. Prominente Journalisten gaben aus Protest gegen politische Einflussnahme ihre Posten auf. "Für ein Land, das im Januar den OSZE-Vorsitz übernimmt, ist das beschämend", so Reporter ohne Grenzen. "Die ukrainische Regierung muss für ein Klima sorgen, in dem Journalisten ohne Angst vor Gewalt kritisch berichten können."
Erst vor zehn Tagen, am 15. Oktober, wurde erneut ein Journalist von Unbekannten entführt. Konstantin Kowalenko hatte über Stimmenkauf vor der Wahl recherchiert. Seine Entführer hätten ihm mehrmals in den Magen getreten, ihn durch simuliertes Ertränken gefoltert und gedroht ihn zu ermorden, berichtet der Journalist auf seinem Blog. Zahlreiche weitere Reporter wurden in den vergangenen Wochen zum Teil mit Gewalt daran gehindert, über Wahlkampfveranstaltungen und Kundgebungen zu berichten. Reporter ohne Grenzen dokumentiert diese Fälle auf seinen englischsprachigen Seiten:http://bit.ly/QFm5Pi. Nur äußerst selten werden solche Übergriffe aufgeklärt und die Täter bestraft.
Besonders gefährlich war es, im Wahlkampf über Umweltschutz und Korruption bei der Landnutzung zu berichten. Am 3. August starb der Umweltaktivist und Herausgeber der Zeitung EKO Bezpeka (ECO Sicherheit) Vladimir Gontscharenko an den Folgen eines brutalen Überfalls. Die Polizei schließt nicht aus, dass er wegen seiner Arbeit angegriffen wurde. Gontscharenko hatte über die Verschmutzung des Dnjepr recherchiert, des größten Flusses in der Ukraine, und fünf Tage vor dem Überfall über eine illegale Müllhalde für chemische und radioaktive Abfälle berichtet. Dmytro Wolkow, Reporter für das investigative Programm "Hroshi" beim landesweiten Fernsehsender 1+1, wurde am 26. September von Unbekannten zusammengeschlagen und schwer verletzt. Er hatte über illegale Landvergabe in der Nähe der ukrainischen Hauptstadt Kiew recherchiert.
Der Druck war dabei immer stärker auch in den Redaktionen zu spüren. Mehrere prominente Journalisten gaben deshalb ihre Posten auf. Natalia Sokolenko, eine der besten investigativen Reporterinnen der Ukraine, verließ im Sommer den Sender STB-TV. Sie weigere sich, "bestellte Nachrichten" zu senden, so die preisgekrönte Journalistin. Sokolenko bloggt nun für die Internet-Zeitung Ukrainskaja Prawda (www.pravda.com.ua) und dokumentiert Zensur in regionalen Medien. Auch Olga Godowenko und Olga Komarowa vom Fernsehsender MIG TV in der Südukraine gaben ihre Arbeit auf, weil sie es ablehnten, "die Interessen einer bestimmten politischen Partei zu repräsentieren" und nicht mehr fähig seien, "ihre Arbeit mit den Prinzipien eines ethischen Journalismus zu vereinbaren".
Große Probleme hat auch TVi, einer der wenigen Fernsehsender, die kritisch über Präsident Viktor Janukowitsch berichten. Ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung gegen TVi wurde im September eingestellt, doch immer weniger Kabelanbieter übertragen den Sender, vor allem im Osten des Landes. (http://bit.ly/NLeM9D)
Auf der weltweiten ROG-Rangliste der Pressefreiheit steht die Ukraine auf Platz 116 von 179.
Quelle: Reporter ohne Grenzen e.V. (ots)