Ökonom fordert "Auszeit" bei der Euro-Rettung
Archivmeldung vom 14.07.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Suche nach einem Weg aus der Euro-Krise spaltet Deutschlands Ökonomen weiterhin: Der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen fordert vorerst einen Stopp für weitere Hilfen an die Defizitländer. "Es ist wie im Basketball: Um sich zu sortieren, muss man erst einmal eine Auszeit nehmen", forderte er in einem Streitgespräch mit der Zeitung "Die Welt". "Und das heißt: Keinen Schritt weiter, solange es kein vernünftiges Regelwerk gibt. Solange darf es keine gemeinsame Haftung und keine neuen Schulden über Maastricht hinaus geben."
Dennis Snower, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), widersprach ihm entschieden: Eine solche Auszeit könne sich Europa nicht leisten. "Wir befinden uns mitten in einer Krise, ein Bankrun in einem einzigen Land kann sich schnell auf ganz Europa ausbreiten", warnte Snower. Deshalb dürfe man keine Zeit verlieren. "Ja, wir müssen an gemeinsamen Regeln arbeiten, aber wir müssen gleichzeitig auch stabilisieren."
Die Wirtschaftswissenschaft befindet sich in Aufruhr, seit gut 200 Ökonomen rund um den Münchner Ifo-Präsidenten Hans-Werner Sinn vor gut einer Woche einen öffentlichen Protestbrief über die jüngsten EU-Gipfelbeschlüsse verfassten. Raffelhüschen gehörte zu den Unterzeichnern dieses Aufrufs, Snower dagegen zu den Initiatoren einer Replik. Gegenüber der "Welt" kritisierte Snower den Auftakt der Debatte als wenig sachlich: "Der erste Aufruf war sehr emotional. Natürlich haben auch Ökonomen Emotionen, aber hilfreich war diese Aktion nicht", sagte er. Raffelhüschen räumte ein, dass er manches heute etwas anders formulieren würde - "aber dafür haben wir jetzt immerhin die richtige Debatte".
Einer der größten Streitpunkte unter den Wirtschaftswissenschaftlern bleibt der Umgang mit maroden Banken. "Wir brauchen eine einheitliche EU-Finanzmarktregulierung, einen Abwicklungsprozess für insolvente Banken und einen Rekapitalisierungsfonds für solche, die eine Perspektive haben", forderte Snower. "Dazu sollte der Rettungsschirm ESM auch die Möglichkeit haben, sich an Banken zu beteiligen." Gleichzeitig müsse man aber auch die Gläubiger in die Pflicht nehmen. Raffelhüschen warnte dagegen davor, "wie bei der Euro-Einführung den zweiten Schritt vor dem ersten zu machen". Bevor man sich auf eine Haftungsunion einlasse, müssten die notwendigen Bedingungen für eine gemeinsame Haftung erfüllt sein. "Bezahlt wird erst, wenn es die Regulierung gibt, nicht umgekehrt. Es würde ja auch keiner einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit beitreten, wenn bei einem Teil der Mitglieder der Schadensfall schon eingetreten ist", sagte Raffelhüschen.
Auch bei der Sanierung der Staatshaushalte sind die beiden Ökonomen unterschiedlicher Meinung. Snower kritisierte den von der Bundesregierung verfochtenen Sparkurs für die Krisenstaaten scharf. "Deutschland hat bei den Vorgaben für andere Länder Fehler gemacht", sagte der Kieler Institutschef. Die Bundesregierung habe im Gegenzug für die Hilfen harte Auflagen durchgesetzt, "und deshalb sparen sich Länder wie Griechenland nun kaputt. Der strenge Konsolidierungskurs verschärft den Abschwung noch", kritisierte Snower. Die Staaten müssten die Möglichkeit haben, antizyklische Fiskalpolitik zu betreiben, um die Konjunktur in der Krise zu stützen. "Reines Sparen kann nicht die Antwort sein." Raffelhüschen lehnt einen solchen Kurs dagegen entschieden ab. "Die antizyklische Finanzpolitik, bei der im Abschwung die Staatsausgaben sogar noch erhöht werden, ist doch genau der Grund, warum wir in dieser Misere stecken", sagte er. Die meisten Staaten erreichten allenfalls in den Phasen absoluter Hochkonjunktur ausgeglichene Haushalte - "ansonsten wurden Jahr für Jahr massive Schulden gemacht". Deutschland sei da keine Ausnahme, wie der Blick auf den aktuellen Bundeshaushalt zeige: "Obwohl die Steuereinnahmen sprudeln wie noch nie, machen wir neue Milliardenschulden", sagte Raffelhüschen. "Europa könnte gut dastehen, wenn die Länder endlich eine solide Haushaltspolitik machen würden."
Quelle: dts Nachrichtenagentur