Lammert von Hilfsbereitschaft der Deutschen in Flüchtlingskrise "beeindruckt"
Archivmeldung vom 14.09.2015
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Freigeschaltet durch Dennis WitteBundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat sich von der Hilfsbereitschaft der Deutschen gegenüber hier ankommenden Flüchtlingen "beeindruckt" gezeigt. Die Hilfe sei keinesfalls "pubertär, sondern sehr erwachsen", so der Bundestagspräsident in der Radio-Sendung "hr1-Talk" am Sonntag.
"Ich glaube, dass diese auffällig unterschiedliche Reaktion im Verhältnis zu manchem unserer Nachbarländer auch etwas mit der deutschen Geschichte zu tun hat, mit der persönlichen Flüchtlingsgeschichte, die es in vielen deutschen Familien gibt." Allerdings dürfe man sich nicht der Illusion hingeben, dass es "ein unbegrenztes Engagement für eine unbegrenzte Zeit für eine unbegrenzte Anzahl von Flüchtlingen" geben könne, so Lammert weiter.
"Es reicht nicht, eine demonstrative Willkommenskultur zu entwickeln. Wir müssen uns über unsere eigenen Möglichkeiten, aber auch unsere eigenen Grenzen klar werden." Das "unantastbare" Asylrecht sei "kein Mittel der Armutsbekämpfung", gibt Lammert zu bedenken. Zur Diskussion um ein Einwanderungsgesetz merkt er an, dass es nicht "hinterwäldlerisch" sei, ein solches abzulehnen: "Weil all das, was darin geregelt werden könnte, längst an anderer Stelle geregelt ist", betonte der CDU-Politiker. Er plädiere allerdings dafür, die vorhandenen Regelungen "in einem zusammenhängenden Gesetzestext" zu bündeln.
Grüne wollen einheitliche EU-Flüchtlingspolitik
Die Grünen fordern vor dem für Montag geplanten Treffen der EU-Justiz- und Innenminister eine "einheitliche europäische Flüchtlingspolitik": "Was wir derzeit in Europa erleben, ist jedoch weit davon entfernt. Es herrschen keine einheitlichen und menschenwürdigen Aufnahmebedingungen, einschließlich Integrations- und Arbeitsmöglichkeiten", monierte die Grünen-Sprecherin für Flüchtlingspolitik, Luise Amtsberg, am Sonntag.
Die Freizügigkeit innerhalb Europas stehe wieder zur Disposition, so die Grünen-Politikerin. "Deswegen ist es zwingend notwendig, dass die Innenminister der Mitgliedsstaaten zusammenkommen, um über die Zukunft Europas und den Umgang mit Schutzsuchenden zu beraten."
Die Idee der EU, in den Erstaufnahmestaaten Italien, Griechenland und Ungarn sogenannte "Hotspots" einzurichten, sei zum Scheitern verurteilt, "wenn nicht vernünftige menschenwürdige Aufnahmebedingungen geschaffen werden", so Amtsberg. Es sei nicht nachzuvollziehen, "warum solche Ideen vor der Schaffung und Stärkung legaler Einreisewege den Vorzug erhalten. Letzteres würde zumindest das Sterben auf dem Mittelmeer begrenzen", so die Grünen-Politikerin.
Gabriel sieht Deutschland am Rande seiner Belastbarkeit
Deutschland steht nach den Worten von Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) bei der Aufnahme von Flüchtlingen am Rande seiner Belastbarkeit. "Es stimmt: Die europäische Untätigkeit in der Flüchtlingskrise bringt inzwischen auch Deutschland an den Rand seiner Möglichkeiten", sagte der SPD-Chef dem "Tagesspiegel".
Um den Zuzug zu drosseln, müsse den Flüchtlingen in der Krisenregion jetzt "schnell und wirksam" geholfen werden, sagte Gabriel. Konkret forderte der SPD-Chef ein milliardenschweres Sofortprogramm zur Unterstützung von Flüchtlingen etwa in Jordanien und im Libanon: "Deutschland und Europa sollten zusammen eine Soforthilfe von 1,5 Milliarden Euro für Nahrung, Unterkunft und vor allem für Schulen in den größten Flüchtlingscamps zur Verfügung stellen."
Die Golfstaaten und die USA seien dazu aufgerufen, die Flüchtlinge in den Camps jeweils mit dem gleichen Betrag zu unterstützen, so der Vizekanzler weiter.
Spahn: Stimmung gegenüber Flüchtlingen verschlechtert sich "stündlich"
Als erster führender CDU-Politiker zeigt Jens Spahn Verständnis für die Haltung der CSU in der Flüchtlingspolitik und warnt zugleich vor einer sich "gerade stündlich" verschlechternden Stimmung gegenüber Flüchtlingen. Im Gespräch mit der "Süddeutschen Zeitung" beklagte Spahn eine "beinahe euphorische Darstellung in den Medien", die die Sorgen vieler Bürger ignoriere.
Das sei "gefährlich". Spahn ist als Präsidiumsmitglied Teil der engsten CDU-Führung und Staatssekretär von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Er sagte, seiner Wahrnehmung nach sinke die Unterstützung der Deutschen für die Einreiseerlaubnis "gerade stündlich". Bereits in wenigen Tagen werde die Debatte "ganz anders aussehen", prognostizierte Spahn.
Derzeit gebe es "eine klassische Schweigespirale: Viele meinen angesichts der beinahe euphorischen Darstellung in den Medien und in der öffentlichen Debatte, dass sie mit ihren Sorgen und Fragen immer nur in der Minderheit sind. Sie finden sich nicht wieder, in dem was gesagt und gesendet wird, und werden deshalb immer verschlossener."
Es sei auf Dauer aber "sehr gefährlich, wenn sich große Teile der Bevölkerung mit ihren Fragen in der öffentlichen Debatte nicht mehr wiederfinden, weil es wahrnehmbar nur noch die Extreme gibt, die selbsternannten absolut Guten und die hetzenden Ausländerfeinde, und nichts dazwischen." Bereits jetzt sei "die übergroße Mehrheit im Land" in Sorge.
Die alles bestimmenden Fragen der Bürger seien: "Wie viele kommen dann nächstes Jahr? Bekommt ihr die Lage wieder in den Griff? Und wie soll Deutschland das auf Dauer aushalten?" Zu den vielen Bürgern, die Flüchtlinge an deutschen Bahnhöfen herzlich begrüßen, sagte Spahn: "Wer mit einem Willkommens-Luftballon am Bahnhof steht, setzt ein schönes Zeichen für die Flüchtlinge und alle Beteiligten fühlen sich sicher gut dabei." Aber die eigentliche Arbeit würden Tausende von Helfern beim Roten Kreuz, dem THW oder den Feuerwehren leisten.
Die seien es, die zusammen mit den lokalen Verwaltungen binnen Stunden Transporte, Unterkünfte und Verpflegung sicherstellen müssten. "Diese Helfer leisten gerade fast Übermenschliches", sagte Spahn. "Und wir werden sie bald überfordern, wenn aus dem Ausnahmezustand ein Dauerzustand wird." Die Integration werde nicht so leicht funktionieren, wie es sich manche vorstellten, sagte Spahn. Er forderte alle Verantwortlichen auf, "den Menschen auch ehrlich" zu sagen, "was wir ihnen da an Integrationsleistung abverlangen". Denn der Alltag von Millionen Deutschen in den Schulen, in der Nachbarschaft und auf der Arbeit werde sich natürlich verändern.
"Wenn in einer Schulklasse nun drei oder fünf Kinder sind, die kein Wort deutsch sprechen können, dann wird der Lehrer weniger Zeit für andere Schüler haben." Es seien "meistens nicht diejenigen, die mit dem Luftballon am Bahnhof stehen, deren Alltag in Schule, Arbeit und Wohnumfeld sich durch die vielen Flüchtlinge ändern wird". Deutschland werde die Integration schaffen, aber das werde "nicht nur gemütlich".
Hessen nimmt unregistrierte Flüchtlinge aus Bayern auf
Um den Ansturm von Flüchtlingen auf dem Münchner Hauptbahnhof zu bewältigen, hat sich Hessen bereit erklärt, über das reguläre Kontingent hinaus mehr als 1.000 Flüchtlinge zu versorgen: "Die Menschen werden jetzt einfach unregistriert mit dem Zug von München nach Frankfurt weiter geschickt", sagte der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) der "Frankfurter Rundschau".
Bereits am vergangenen Wochenende habe das von Schwarz-Grün regierte Hessen ähnlich unbürokratisch geholfen. "Ich kann den Ärger des Münchner Oberbürgermeisters verstehen, aber Hessen gehört zu den Ländern, die fast doppelt so viele Flüchtlinge in der Erstaufnahme versorgen, wie wir nach Länderschlüssel letztendlich aufnehmen müssen", sagte Al-Wazir. "Je weiter Sie in Deutschland Richtung Norden und Osten schauen, umso mehr dreht sich dieses Verhältnis um."
Quelle: dts Nachrichtenagentur