Bundesregierung hält EU-Verfahren wegen EZB-Urteil für unbegründet
Archivmeldung vom 10.08.2021
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićDie Bundesregierung will Bedenken der EU-Kommission wegen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu den Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank (EZB) entkräften und so eine Klage abwenden. In einem vierseitigen Schreiben an die Kommission, über welches das "Handelsblatt" berichtet, nimmt die Bundesregierung Stellung zu dem brisanten Vertragsverletzungsverfahren, das Brüssel Anfang Juni gegen Deutschland eingeleitet hat.
Aus Brüsseler Sicht stellt das Bundesverfassungsgericht bei seinem kritischen Urteil zur EZB-Politik aus dem Vorjahr den Vorrang von EU-Recht infrage. Die Bundesregierung macht in ihrem Schreiben deutlich, dass sie den Vorwurf der Vertragsverletzung für unbegründet hält. Berlin betont die grundsätzliche Europafreundlichkeit der deutschen Verfassung. "Ebenso wie die Europäischen Verträge verpflichtet daher vor diesem Hintergrund das Grundgesetz alle deutschen Verfassungsorgane ihre jeweiligen Kompetenzen europarechtsfreundlich und im Einklang mit den Unionsverträgen auszuüben", heißt es in dem Brief.
Als Beleg verweist die Bundesregierung auf frühere Urteile des Bundesverfassungsgerichts, welche den Vorrang des EU-Rechts bestätigt haben. Weiter schreibt die Bundesregierung, dass Deutschland den Anwendungsvorrang des Unionsrechts genauso anerkenne wie die dem EuGH übertragenen Rechtsprechungskompetenzen, "insbesondere die Kompetenz im Einklang mit den Verträgen das Unionsrecht verbindlich und abschließend auszulegen sowie über seine Gültigkeit zu urteilen". Die Bundesregierung gibt in dem Papier daher eine "Versicherung" ab. Sie werde "entsprechend ihrer vertraglichen Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um die vollständige Beachtung und Anwendung des Unionsrechts (...) zu gewährleisten".
Das Bundesverfassungsgericht hatte der EZB in seinem Urteil im Mai 2020 vorgeworfen, die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit ihrer umstrittenen Anleihekäufe nicht ausreichend begründet zu haben. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte zuvor entschieden, die Anleihekäufe seien rechtens. Karlsruhe entschied dagegen, dieses Urteil sei "ultra vires" gewesen, die Angelegenheit habe also außerhalb der Kompetenz des EuGH gelegen. Um den Konflikt zu entschärfen, regt Deutschland "die Einrichtung eines strukturierten gerichtlichen Dialogs zwischen dem Europäischen Gerichtshof und den Höchst- und Verfassungsgerichten der Mitgliedstaaten" an, "um den Austausch und ein gemeinsames Verständnis innerhalb des Europäischen Gerichtsverbundes zu fördern und zu stärken". Neben der Intensivierung bisheriger informeller Begegnungen könnte dazu eine "Plattform europäischer Richter" geschaffen werden.
Quelle: dts Nachrichtenagentur