Ex-EU-Kommissionspräsident Prodi sieht Deutschland als Führungsmacht in Europa
Archivmeldung vom 06.08.2012
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtDer frühere Präsident der EU-Kommission und ehemalige italienische Ministerpräsident Romano Prodi sieht Deutschland als Führungsmacht in Europa. In einem Gastbeitrag für die "Bild-Zeitung" (Montagausgabe) schreibt Prodi: "Deutschland und Europa haben eine gemeinsame Bestimmung: Eine, die von Deutschland die Übernahme wahrhafter Führungsverantwortung erfordert. Deutschland kann sich nicht von Europa lossagen. Berühmte Denker wie Goethe, Kant und Schiller machten einst Deutschland zum Vorkämpfer, als es darum ging, nationale Identität, europäisches Handeln und weltbürgerliche Verantwortung miteinander zu vereinen. Heute hat Deutschland die Aufgabe, seine große Vergangenheit als Vorreiter aufzugreifen und Europa auf den Weg in eine bessere Zukunft zu führen."
Kritisch geht Prodi mit der Rolle Deutschlands in der Finanzkrise ins Gericht: "Während der noch andauernden Finanz- und Wirtschaftskrise entstand der Eindruck, in Deutschland werde der berechtigte Stolz auf seine wirtschaftliche Leistung von einer gewissen Selbstgenügsamkeit verdrängt", schreibt Prodi. "Wenn sich jedoch Berlin von seiner historischen Rolle in Europa verabschiedet, wäre dies das politische Ende, sowohl Europas als auch von Deutschland."
Anders als der italienische Ministerpräsident Mario Monti fürchtet Prodi kein Auseinanderbrechen Europas. Vielmehr sieht er die Lösung der Wirtschaftskrise in einem vereinten Europa: "Die Argumente für eine intensivierte Harmonisierung der Haushaltspolitik und der wirtschaftspolitischen Steuerung liegen auf der Hand: Sowohl die Schuldnerländer als auch die Gläubigerländer haben einen Teil ihrer Souveränität aufgeben müssen. Die mittlerweile zwischen Gebern und Nehmern üblich gewordene, konfrontative Argumentation zerstört die europäische Idee in ihren Grundmauern", so Prodi in seinem Gast beitrag.
Die Lösungen "können jedenfalls nicht im Auseinanderbrechen Europas, in der Aufteilung der Euro-Zone in zwei Bereiche oder in der Schaffung eines `Kern-Euro` unter Ausschluss der schwächeren Länder bestehen". Europa soll sich nach Ansicht des italienischen Politikers zu einer Föderation weiterentwickeln: "Deutschland muss sich klar äußern, was mit der von ihm vorgeschlagenen `politischen Union` gemeint ist; dabei sollte es alle seine Partner in Europa davon überzeugen, dass es sich weiter auf dem Weg des Föderalismus befindet, und es muss einen klaren Maßnahmenplan vorlegen, mit dem sich ein demokratisches, föderal strukturiertes Europa erreichen lässt."
In seinem Gastbeitrag kommt Prodi zu dem Schluss: "Nur wenn sich die europäischen Staaten unter deutscher Führung erneut für die europäische Idee einsetzen, können wir das Misstrauen zwischen den Ländern untereinander und gegenüber Europa beheben. Wir zahlen alle einen zu hohen Preis dafür, dass es kein politisches Europa gibt. Wir brauchen nun ein starkes Engagement hin zur politischen Union, die transparent und unter Beteiligung aller durch ein neues, verfassunggebendes Verfahren umzusetzen ist."
Quelle: dts Nachrichtenagentur