Irakexperte: Bundesregierung hat vermutlich noch keinen gesicherten Kontakt zu Geiselnehmern
Archivmeldung vom 03.02.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Lage der zwei entführten deutschen Geiseln im Irak hat sich nach Ansicht des Irakexperten Hans J. Gießmann dramatisch zugespitzt. "Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass derzeit noch kein konkreter Kontakt zu den Geiselnehmern besteht.
Man weiß
nicht, wo sich die Geiseln befinden, mit wem man sprechen muss, und
die Handlungsoptionen der Regierung sind auf Grund der
Sicherheitslage im Irak beschränkt", sagte der Leiter des Zentrums
für Europäische Friedens- und Sicherheitsstudien dem Tagesspiegel in
Berlin (Freitagausgabe).
"Die Entführer haben Forderungen aufgestellt, die keine Regierung der
Welt erfüllen kann - und die auch im Widerspruch zu den Interessen
des irakischen Volkes stehen", sagte Gießmann weiter. Würde die
Bundesregierung auf die Forderungen eingehen, könnte sie ihre
zugesagten Aufbauhilfen nicht mehr erbringen. Und sie würde sich
erpressbar machen. Das schüfe einen Präzedenzfall, der schlimme
Folgen mit sich bringen könne.
Der Experte geht davon aus, dass es noch keine feste Grundlage für
Verhandlungen gibt und dass die Bundesregierung noch gar nicht sicher
wisse, mit wem sie über was verhandeln solle. Ein Kontakt zu
Geiselnehmern werde üblicherweise über Mittelsleute hergestellt, die
sich gemeldet hätten. "Die werden anhand standardisierter Fragen
überprüft, deren Antworten nur die Entführungsopfer wissen können",
sagte Gießmann. "Dann muss ausgesiebt werden, welche Informationen
stichfest sind oder wo vielleicht Trittbrettfahrer im Spiel sind, die
wieder eigene Interessen haben." Das sei eine schwierige Abwägung, da
die Bundesregierung nur sehr schwer selbst aktiv werden kann.
"Geklärt werden muss, wer die Entführer sind und ob sie überhaupt an
Verhandlungsergebnissen interessiert sind." Aufschluss könnte auch
der Name der Entführer-Gruppe, Ansar Al Tahwid wa Al Sunna, geben.
"In der Bezeichnung der Gruppe verstecken sich zwei unterschiedliche
Ziele. Sunna steht für die Nationalisten, die Anhänger des alten
Saddam-Regimes. Al Tahwid weist zu den Islamisten, die einen
Gottesstaat anstreben. Diese beiden Strömungen bekriegen sich
eigentlich im Irak - denn die Islamisten bedeuten eine Gefahr für den
säkularen Staat, wie ihn sich die Anhänger Saddams wünschen",
erklärte Gießmann. Wenn der Name ein Anzeichen dafür sei, dass die
beiden Gruppen anfingen, sich zu überlagern, bedeute das nichts
Gutes. Möglich sei aber auch, dass es sich nur um ein Kunstprodukt
handele, um möglichst viele anzusprechen.
Quelle: Pressemitteilung Der Tagesspiegel