Halbzeitbilanz der Groko: Grüne erteilen schwarz-roter Europapolitik ein Mangelhaft
Archivmeldung vom 05.11.2019
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Freigeschaltet durch André OttDie Grünen sehen den Aufbruch für Europa durch die Politik der schwarz-roten Koalition gefährdet. Anlässlich der Halbzeitbilanz der Bundesregierung sagte die europapolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Franziska Brantner, der "Neuen Osnabrücker Zeitung": "Die Bundesregierung spart lieber an Europas Zukunft, statt mutig darin zu investieren, und verspielt so die Chance, die EU im Hinblick auf USA und China zu stärken."
Schwarz-Rot verharre bei wichtigen Themen wie Klima, Forschung, Digitales, Soziales oder Steuern und EU-Haushalt im "nationalen Klein-Klein", betonte Brantner: "Damit ist Deutschland in der EU und international nicht Vorreiter, sondern Nachzügler." In Sachen Europapolitik sei die Halbzeitbilanz der Bundesregierung "mangelhaft und stark versetzungsgefährdet", betonte Brantner in der "NOZ".
Mit ihrer Kritik beziehen sich die Grünen auf die Antworten der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Partei. Das Papier sei Ausdruck dafür, dass Schwarz-Rot die im Koalitionsvertrag "vollmundig" formulierten Ankündigungen nicht eingehalten habe. Die Bundesregierung sei "bestenfalls stets bemüht, verweist auf längst laufende Programme und vertröstet ansonsten bis zur Ratspräsidentschaft", bemängelte Brantner. Deutschland wird die EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 innehaben.
Die Sozialdemokraten weisen die Vorwürfe aus der Opposition zurück. Die Europapolitik der Koalition sei "passabel bis gut", sagte der europapolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Christian Petry, der "Neuen Osnabrücker Zeitung". So mache man mit dem sogenannten Haushaltsinstrument für "Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit" einen großen Schritt Richtung des von Frankreich geforderten Eurozonen-Budgets. Es sei billig, das als "zu kleinteilig und verzagt zu kritisieren". Mehr noch als die Bundespolitik erfordere Europapolitik einen langen Atem.
Weiter sagte Petry der "NOZ": "In Berlin arbeiten wir den Koalitionsvertrag mit starker sozialdemokratischer Handschrift ab, und manchmal fällt es der Union schwer, zu dem zu stehen, was sie unterschrieben hat." Grundsätzlich seien die Dinge in Brüssel zudem komplizierter als in Berlin: "Da reicht es nicht, wenn sich die deutsche Koalition einig ist, auch wenn von manchen dieser Eindruck erweckt wird", betonte SPD-Politiker Petry. Gerade auf europäischer Ebene bleibe "Politik die Kunst des Möglichen, nicht des Wünschenswerten".
Europäische Bewegung zieht bescheidene Bilanz der schwarz-roten Europapolitik
Die Europäische Bewegung Deutschland (EBD) bemängelt das mangelnde Engagement der schwarz-roten Bundesregierung in der Europapolitik. "Die deutsche Europapolitik besteht vor allem aus Abwehrarbeit. Dieses europapolitische ,Catenaccio' verhindert eine moderne Europapolitik, die Gestaltungskraft für eine aktive Europapolitik böte", erklärte EBD-Präsidentin Linn Selle in der "Neuen Osnabrücker Zeitung".
Selle betonte: "Auf Basis der Erfahrungen aus den ersten Jahren der Koalition ist weiterhin nur mit einem reaktiven Gestaltungswillen zu rechnen. Von einer breiten Zukunftsdebatte nach der Europawahl ist Deutschland auch ein halbes Jahr vor der eigenen EU-Ratspräsidentschaft weit entfernt." Angesichts der Verhandlungen um den neuen EU-Haushaltsrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 werde deutlich, "dass Deutschland nicht vom ,Deutschenrabatt' abgehen möchte und eine substanzielle Modernisierung des EU-Haushaltes auch von Berlin nicht betrieben wird", so Selle.
Als "positiv" vermerkt EBD-Präsidentin Selle die "klare Linie" der schwarz-roten Koalition im Bund beim Brexit. "Die Bundesregierung hat eindeutig und beeindruckend den Zusammenhalt der EU27, der deutschen gesellschaftlichen Kräfte, inklusive der Wirtschaft, und die koordinierende Rolle der Europäischen Kommission gefördert", betonte Selle in der "NOZ". Ähnlich klar habe sich die Bundesregierung zu einer "grundsätzlichen Beitrittsperspektive von Nordmazedonien und Albanien geäußert". Auch wurde ein "wenn auch wenig mutiger Kompromiss auf Frankreichs Vorschläge zur Eurozone gefunden".
Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung (ots)