Hans-Werner Sinn, Chef des ifo-Wirtschaftsinstituts, befürchtet "Ansteckungseffekte", wenn Griechenland in der Eurozone bleiben sollte.
Archivmeldung vom 21.03.2015
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittHans-Werner Sinn, Chef des ifo-Wirtschaftsinstituts, befürchtet "Ansteckungseffekte", wenn Griechenland in der Eurozone bleiben sollte. "Wenn man Griechenland nachgibt, muss man das bei allen anderen auch tun. Dann könnte die linke Podemos-Bewegung in Spanien bald an der Regierung sein", sagte Sinn dem Bielefelder Westfalen-Blatt.
"Der Podemos-Anführer Pablo Iglesias Turrión würde die Spanier davon überzeugen wollen, dass er den griechischen Weg wiederholt. Podemos hat jetzt schon die meisten Stimmen in den Umfragen", warnt der Ökonom. "Das griechische Problem kann man noch mit viel Geld aus dem Portemonnaie lösen, aber das ließe sich bei Spanien nicht wiederholen. Die Summen wären viel zu groß. Spanien hat ein mehr als fünfmal so großes Sozialprodukt. Da wäre ein Rettungsprogramm so groß wie die deutsche Staatsschuld", sagt Hans-Werner Sinn.
Europarechtler Oberndorfer: Griechische Regierung soll zur neoliberalen Krisenpolitik gezwungen werden
Der österreichische Europarechtler Lukas Oberndorfer hält das Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro für eine reine Drohkulisse. Insbesondere anhand der Maßnahmen der Europäischen Zentralbank werde deutlich, dass der Grexit zwar provoziert werde, aber nur als Mittel zum Zweck. "Man versucht, über eine Verknappung der Liquiditätszufuhr so viel Druck aufzubauen, dass die neue griechische Regierung weiterhin die neoliberale Krisenpolitik durchsetzt", so Oberndorfer im Interview mit der in Berlin erscheinenden Tageszeitung "neues deutschland" (Wochenendausgabe). Der wissenschaftliche Mitarbeiter der Abteilung EU und Internationales der österreichischen Arbeiterkammer glaubt aber nicht, dass ein Grexit beabsichtigt sei. Europa sei weiter in einer tiefen Krise. "Man hat sehr große Sorge, dass auch ein Ereignis mittlerer Größe wie der Grexit den Schwelbrand wieder entfachen könnte." Oberndorfer kritisiert die Sparpolitik der vergangenen Jahre nicht nur politisch, sondern sieht auch klare Verstöße gegen das Europarecht. "Es ist vollkommen klar, dass die EZB und die Kommission durch ihre Teilnahme in der Troika ihre Kompetenzen in den Verträgen überschreiten." Im Fall Griechenland sei etwa vorgegeben worden, dass Tarifvertragsverhandlungen in Zukunft zuvorderst auf Betriebsebene stattfinden müssen trotz eines expliziten Verbots für die europäischen Organe, im Bereich des Tarifrechts tätig zu werden. Laut Oberndorfer geschehe dies nicht zufällig. "Man hat hier meines Erachtens bewusst an den Verträgen vorbeigearbeitet." Die EU-Institutionen versuchten, "den Konsens, den es eigentlich nicht mehr gibt, für eine Fortsetzung der neoliberalen Politik zu umgehen".
Quelle: Westfalen-Blatt - neues deutschland (ots)