Tophoven: BND-Affäre erhöht Terrorgefahr in Deutschland
Archivmeldung vom 14.01.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 14.01.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDurch die jüngste Affäre um den Bundesnachrichtendienst wächst die Gefahr terroristischer Anschläge in Deutschland, befürchtet Terror-Experte Rolf Tophoven, Leiter des Essener Instituts für Terrorismusforschung- und Sicherheitspolitik.
"Allein die Tatsache, dass während des Krieges BND-Mitarbeiter im
Irak waren, ist aus der Perspektive der militanten Islamisten ein
weiteres Argument, terroristische Operationen gegen Deutschland
durchzuführen", sagte Tophoven der "Leipziger Volkszeitung".
Ob die Agenten wirklich den Amerikanern Informationen zu
Angriffszielen gaben, sei da gar nicht mehr relevant. "Wir müssen uns
darauf einstellen, dass die Zeiten wo Deutschland nur Ruhe - und
Planungsraum war, vorbei sind," so Tophoven. "Schon der
Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan oder am Horn von Afrika könnte
Terroristen zur Rechtfertigung dienen. Und jetzt kommt diese
Geschichte um den BND dazu."
Dabei kam der Irak-Einsatz der Geheimdienstler für den Experten
keineswegs überraschend. "Die gesetzliche Aufgabe des BND ist es das
Ausland zu beobachten, dort Informationen zu beschaffen und aus
diesen ein Lagebild zu formulieren. Dieses geht dann an die Regierung
zur Einschätzung und politischen Bewertung. Dafür muss der BND auch
in Krisengebieten Informationen sammeln." Mit James-Bond-Romantik
habe dies wenig zu tun. Die Arbeit reicht vom Zeitungsstudium und
Kontakten bei Partys bis zur Anwerbung verdeckter Mitarbeiter. Die
Geheimdienstler sind in der Regel den Botschaftern zugeordnet und
haben Diplomatenstatus.
Auch jetzt noch seien BND-Mitarbeiter im Irak, betont Tophoven.
Denn deren Hauptbetätigungsfeld habe sich längst verschoben: Von der
klassischen Spionage aus den Zeiten des Kalten Krieges zur
Terrorbekämpfung. "Der BND beobachtet, wie die Aufständischen
aufgestellt sind, welche Stärke sie haben, welche neuen Taktiken sie
entwickeln. Und natürlich ob es Kontakte nach Deutschland gibt, oder
ob in Deutschland Terroristen angeworben und in den Irak geschleust
werden."
Die deutschen Geheimdienstler seien sogar oft effizienter als ihre
amerikanischen Kollegen, trotz weit geringerer Personalstärke. So
verfügt der BND über "sehr seriöse und gute" menschliche Quellen,
während die Amerikaner große Schwierigkeiten haben Iraker zu
gewinnen, für sie zu arbeiten. Tophoven: "Die Deutschen haben ein
besseres Ansehen als die verhassten Amerikaner. Überspitzt gesagt,
mit den Amerikanern spricht man nicht." Zudem habe der BND die
besseren Analytiker.
Doch die Zusammenarbeit mit den Amerikanern ist eng. Und auch zu
Geheimdiensten und Organisationen in Nahost sind die Beziehungen gut.
"Der vom BND vermittelte Gefangenenaustausch zwischen der Hisbollah
und Israel wäre beispielsweise unmöglich gewesen, hätten die
Deutschen nicht das Vertrauen beider Seiten", so Tophoven.
Dass auch
mit den Geheimdiensten von Ländern, die der Folter verdächtigt
werden, Informationen ausgetauscht werden, hält der Experte für sehr
wahrscheinlich. So seien die Verbindungen zu den Syrern recht gut.
"Und der Datenaustausch muss ja auf der Basis des ,ich gebe, damit du
gibst' verlaufen."
Die Brisanz des BND-Skandals sieht Tophoven vor allem darin, "dass
uns die Politiker am Vorabend des Krieges etwas verkauft haben, was
in Wirklichkeit wohl ganz anders aussah. Nach außen wurde groß
getönt, wir sind gegen den Krieg. Doch es gab auf manchen Gebieten
eine stillschweigende Unterstützung für die Amerikaner." Denn dass
die Verantwortlichen für den BND-Einsatz in höchsten Stellen zu
suchen sind, davon ist Tophoven überzeugt: "Die Entscheidung, dass
die Agenten während des Krieges im Irak bleiben, und die
Entscheidung, dass sie - wie auch immer - die Amerikaner
unterstützen, die fällt kein Abteilungsdirektor. Das sind politische
Entscheidungen von ganz oben."
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung