ROG verurteilt Vorgehen der israelischen Armee gegen Journalisten
Archivmeldung vom 09.07.2014
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 09.07.2014 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittReporter ohne Grenzen (ROG) verurteilt die zahlreichen Übergriffe der israelischen Armee gegen Journalisten seit Beginn der jüngsten Gewalteskalation im Nahen Osten. Immer wieder geraten Medienschaffende unter Beschuss der Armee. Andere werden willkürlich festgenommen und ihre Ausrüstung zerstört oder beschlagnahmt. Bei Razzien wurden die Redaktionen mehrerer palästinensischer Medien durchsucht.
In einem jetzt veröffentlichten, ausführlichen Länderbericht (http://bit.ly/VJbutX) hat ROG untersucht, wie Journalisten in den Palästinensergebieten auch jenseits des aktuellen Konflikts unter Druck von allen Seiten stehen. Israels Behörden und Armee schränken ihre Bewegungsfreiheit ständig ein und scheuen nicht vor Festnahmen, Gewalt gegen Journalisten oder gar Militärangriffen auf Redaktionsräume zurück. Hinzu kommen Repressionen durch die Palästinensische Autonomiebehörde und die islamistische Hamas, die durch den seit Jahren andauernden Machtkampf beider Faktionen noch verstärkt worden sind.
"Journalisten sind keine Konfliktparteien und müssen bei Militäreinsätzen ebenso geschützt werden wie alle anderen Zivilisten", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Israels Armee steht in der Verantwortung sicherzustellen, dass Journalisten gleich welcher Nationalität frei und ohne Angst vor Übergriffen berichten können."
Drei Mitarbeiter des Fernsehsender Filastin Al-Joum wurden verletzt, als sie am vergangenen Samstag während eines Live-Berichts über Zusammenstöße in Ostjerusalem unter Beschuss der israelischen Armee gerieten (http://bit.ly/1qivLQh): Der Journalist Ahmed al-Budeiri wurde an der Schulter und in den Bauch getroffen, sein Kameramann Ahmed Dschaber am Auge und der Techniker Walid Matar am Kopf. Am gleichen Tag wurde ein Korrespondent des Hamas-Fernsehsenders Al-Aksa TV, Ahmed al-Chatib, in Tulkarem festgenommen.
Mehrere Journalisten wurden durch Schüsse der israelischen Sicherheitskräfte verletzt, als sie am vergangenen Mittwoch im Jerusalemer Stadtteil Shoafat über Demonstrationen nach dem Mord an einem jungen Palästinenser berichteten. Unter ihnen war etwa die israelische Fotografin Tali Mayer (Activestills, Walla News!), die von einem ummantelten Geschoss ins Gesicht getroffen und schwer verletzt wurde. (http://bit.ly/1pIT8Xl) Ihr Kollege Oren Ziv wurde am Arm getroffen.
Schon am 22. Juni durchsuchte die israelische Armee in Bethlehem das Haus der Brüder Sahib und Fadi al-Assa, die Korrespondenten des Radiosenders Bethlehem 2000 sind. Sahib al-Assa wurde zu einem Militärposten mitgenommen und erst nach stundenlangem Verhör über seine journalistische Arbeit freigelassen. Seinen Ausweis und sein Handy konfiszierte die Armee.
Am gleichen Tag beschlagnahmten israelische Soldaten bei einer Razzia in den Büros des Medienunternehmens Palmedia in Ramallah umfangreiche digitale Datenbestände und zerstörten Ausrüstungsgegenstände. Auch ein Büro des russischen Nachrichtensenders RT war betroffen. Laut RT begründete die Armee die Razzia damit, dass Palmedia als Dienstleister für Al-Aksa TV gearbeitet habe.
Bei einer Armee-Razzia in den Büros von Transmedia in Nablus, Ramallah und Hebron hatte die Armee vier Tage zuvor Ausrüstung im Wert von rund einer Million Dollar beschlagnahmt. Anschließend ordneten die israelischen Behörden die Schließung des Unternehmens an, weil es als Produktionsfirma für Al-Aksa TV gearbeitet habe.
Schon bei früheren militärischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten haben Medienschaffende einen hohen Blutzoll gezahlt: Im Gazakrieg Ende 2008/Anfang 2009 wurden sechs Journalisten getötet und mindestens drei Gebäude beschossen, in denen sich Redaktionsräume befanden. Bei der jüngsten israelischen Gaza-Offensive im November 2012 wurden zwei Journalisten getötet und elf verletzt. Zahlreiche internationale Medien wurden an Recherchen gehindert.
Der ROG-Länderbericht zur Lage der Pressefreiheit im Westjordanland und im Gazastreifen zeigt darüber hinaus, wie alle Konfliktparteien vor allem die Arbeit palästinensischer Journalisten tagtäglich behindern. So verweigert das Presseamt der israelischen Regierung geschätzten 95 Prozent von ihnen eine Akkreditierung; zugleich erkennen israelische Behörden Akkreditierungen der Autonomiebehörde nicht an. Die Folge: Die meisten palästinensischen Journalisten können keine israelischen Regierungsvertreter interviewen, bleiben von vielen Presseterminen ausgesperrt, haben keinen Schutz vor willkürlichen Festnahmen der israelischen Armee und können sich angesichts der vielen Kontrollpunkte nicht einmal innerhalb des Westjordanlands frei bewegen. Einige berichten, an Kontrollpunkten würden sie gegenüber anderen Zivilisten sogar benachteiligt.
Hinzu kommen zahlreiche Einschränkungen der Pressefreiheit durch die jeweiligen Behörden in den Palästinensergebieten. Seit die Hamas 2007 die Kontrolle über den Gazastreifen gewann, waren dort Zeitungen wie Al-Ajjam, Al-Hajat al-Dschadida und Al-Kuds verboten, die als der Autonomiebehörde nahestehend gelten. Diese verbot im Westjordanland im Gegenzug Hamas-nahe Publikationen wie Falestian und Al-Rissala. Gleiches galt für Fernsehsender. Journalisten mit vermeintlichen Verbindungen zur jeweils verfeindeten Partei mussten mit willkürlichen Festnahmen und anderen Repressionen rechnen. Erst mit der jüngsten Annäherung zwischen Autonomiebehörde und Fatah haben sich diese Repressionen seit dem Frühjahr gelockert.
Die Sicherheitsbehörden beider Palästinenserfaktionen überwachen auch das Internet intensiv auf kritische Äußerungen. So sind im Westjordanland seit 2011 mehrere Journalisten und Aktivisten wegen Beleidigung von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas festgenommen und teils vor Gericht gestellt worden. Den Anstoß gaben meist kritische Äußerungen auf Facebook.
Im Gazastreifen verschärfte die Hamas ihre Repressionen gegen Medien deutlich, nachdem sie im vergangenen Sommer durch den Machtverlust der verbündeten Muslimbruderschaft im Nachbarland Ägypten unter Druck geriet. So wurden die Redaktionen der Nachrichtenagentur Maan und des Fernsehsenders Al-Arabija zeitweilig geschlossen - offenbar weil sie berichtet hatten, führende ägyptische Muslimbrüder hätten in einem Hotel in Gaza Zuflucht gefunden.
Quelle: Reporter ohne Grenzen e.V. (ots)