Ärztliche Schweigepflicht ein Auslaufmodell? - Freie Ärzteschaft kritisiert geplante EU-Verordnung
Archivmeldung vom 04.08.2021
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićDas EU-Parlament hat eine neue Verordnung beschlossen, die nach Zustimmung des Europäischen Rates gültig werden soll. Mithilfe der sogenannten E-Evidence-Verordnung könnten Staaten dann grenzüberschreitend die Herausgabe von in Clouds gespeicherten personenbezogenen Daten von EU-Bürgern eines anderen Staates anfordern. Für die Freie Ärzteschaft (FÄ) ist das aus Sicht des Grundrechts ein Unding.
"Künftig würde nicht mehr eine staatliche Behörde des eigenen Landes entscheiden, ob Daten der eigenen Bürger an einen anderen Staat übermittelt werden, sondern der Internetprovider, ein soziales Netzwerk oder die kleine Hosting-Firma", sagte FÄ-Vizevorsitzende Dr. Silke Lüder am Mittwoch in Hamburg.
Das bedeutet beispielweise: Bei einem in Deutschland durchgeführten legalen Schwangerschaftsabbruch, der in einem anderen EU-Land strafbar ist, kann ein Staatsanwalt dieses Landes auf die internen Daten der Abtreibungsklinik oder -praxis in Deutschland zugreifen. Lüder erläutert, was das generell für die hochsensiblen Patientendaten bedeutet: "Da alle ärztlichen Daten in Deutschland künftig in Form von elektronischen Patientenakten (ePA) bei IT-Firmen in der Cloud gespeichert werden sollen, sind auch sie nicht mehr vor der Ausforschung durch andere Staaten geschützt. Die ärztliche Schweigepflicht ist dann nur noch Makulatur, das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung damit ebenfalls."
Schon 2018 haben die Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder sowie viele Verbände den Entwurf dieser Verordnung massiv kritisiert. Auch im EU-Parlament gab es zunächst großen Widerstand. "Aber durch ein datenbesessenes Drängen von Mitgliedsstaaten ist jetzt im EU-Parlament eine Mehrheit für dieses Vorhaben entstanden - es wird kaum noch zu stoppen sein", erläutert die FÄ-Vize. "Das allerdings bestärkt wiederum alle kritischen Ärzte und Psychotherapeuten in Deutschland, ihren Widerstand gegen die Verlagerung aller sensiblen Krankheitsdaten in die Clouds großer IT-Firmen fortzuführen. Dies gilt damit insbesondere für jede ePA", ergänzt FÄ-Vorsitzender Wieland Dietrich.
"Aus dem Ministerium von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn kommt massiver Druck auf die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen, die sich aus Gründen der Schweigepflicht bislang nicht an die Telematikinfrastruktur (TI) angeschlossen haben", berichtet der FÄ-Chef. Große Teile der Praxisärzte hätten sich auch nur aufgrund drohender finanzieller Strafen an die TI angeschlossen. Von dem Projekt überzeugt seien sie nicht, ganz im Gegenteil: Sie fürchten eine massive Belastung der Arbeitsabläufe und eine Gefährdung ihrer Praxisdaten.
Wieland Dietrich betont: "Die vom Staat geplanten elektronischen Rezepte, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und Patientenakten sind unsicher, arbeitsintensiv und helfen weder Patienten noch Ärzten. Viele Kolleginnen und Kollegen werden daher weiter die bisherigen Kassenrezepte und AU-Bescheinigungen ausstellen, die ohnehin bei der absehbaren Nichtfunktionalität der neuen Plattformen weiter eingesetzt werden können." Von dem mancherorts befürchteten Verlust der Kassenarztzulassung müsse sich angesichts des Ärztemangels gerade in Versorgerpraxen niemand einschüchtern lassen.
Quelle: Freie Ärzteschaft e.V. (ots)