EU muss Städte und Regionen bei der Bewältigung des Brexits unterstützen
Archivmeldung vom 06.12.2018
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Freigeschaltet durch André OttAm 6. Dezember forderten Regional- und Kommunalvertreter die EU nachdrücklich auf, Maßnahmen zu ergreifen, um die negativen Auswirkungen des Brexits abzufedern. Ferner plädierten sie dafür, die Regionalwirtschaften über den EU-Haushalt zu fördern. Diese Forderungen wurden im Lauf einer Debatte mit Michel Barnier in Brüssel laut. Gleichzeitig zollten die Vertreter dem Chefunterhändler der EU Anerkennung für die Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich. Denn das Abkommen begrenzt die Risiken für die Republik Irland, die Bürgerinnen und Bürger sowie laufende EU-Programme.
Vor wenigen Tagen haben die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten dem Austrittsabkommen zugestimmt, das dem britischen Parlament am 11. Dezember zur Ratifizierung vorgelegt wird. Heute sprach Michel Barnier vor dem Europäischen Ausschuss der Regionen (AdR). Nach der Rede äußerten auch vier deutsche Mitglieder des AdR ihre Bedenken. Sie alle betonen: Die Vorbereitungen auf den Brexit laufen gut, doch noch gibt es viele offene Aspekte zur künftigen Zusammenarbeit der Staaten.
Michel Barnier, ehemals für Regionalpolitik zuständiger EU-Kommissar, erklärte: "Es ist ein ausgewogener Deal, der einzige und bestmögliche. Das Abkommen respektiert die Grundsätze der EU und berücksichtigt dabei die roten Linien des Vereinigten Königreichs. Im aktuellen EU-Programmplanungszeitraum 2014-2020 haben wir uns darauf geeinigt, dass jede der 28 eingegangenen Verpflichtungen von allen 28 Staaten eingehalten wird, was finanzielle Stabilität bietet. Das wird einen fairen Wettbewerb sichern und die Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit britischen Städten, Regionen oder Universitäten erhalten. Der Deal wird auch die wirtschaftliche Dynamik unserer Territorien, von denen einige eng mit dem Vereinigten Königreich Handel treiben, erhalten. Aber ohne Ratifizierung wird es weder ein Rücktrittsabkommen noch eine Übergangsfrist geben. Dieses 'No Deal'-Szenario kann nicht ausgeschlossen werden, daher ist es notwendig, dass alle Regionen und Städte gut vorbereitet sind."
Das Abkommen bildet den Auftakt zu Verhandlungen über die langfristigen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU. Barnier hatte im März 2017 dafür plädiert, sich bei den Verhandlungen zu den Bereichen Handel, Forschung und Innovation, Klimaschutz, internationale Zusammenarbeit, Entwicklungspolitik und Sicherheit "ehrgeizige" Ziele zu setzen.
Karl-Heinz Lambertz (BE/SPE), Präsident des AdR und Senator der Deutschsprachigen Gemeinschaft im belgischen Senat, gab seinerseits zu bedenken: "Das Austrittsabkommen stellt die bestmögliche, aus einem komplizierten Verhandlungsprozess hervorgegangene Kompromisslösung dar. Die Auswirkungen werden jedoch in den Regionen der gesamten EU-27 und des Vereinigten Königreichs deutlich zu spüren sein. Aus dem Brexit werden keine Gewinner hervorgehen, und die EU muss nun ihr Möglichstes tun, um den Schaden gering zu halten. In die Vorbereitungen müssen alle Regierungsebenen einbezogen werden. Alle Beteiligten müssen der Forderung der Regionen nach inklusiveren Verhandlungen Gehör schenken, zumal mehrere Regionalparlamente an der Aushandlung künftiger Handelsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich beteiligt sein werden."
Im Anschluss an die Rede von Michel Barnier trugen die Vertreter von 43 Städten und Regionen ihre Standpunkte vor. Darunter waren vier deutsche Mitglieder des Europäischen Ausschusses der Regionen.
Birgit Honé (SPD), Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung (Niedersachsen): "Niedersachsen hat besondere historische Beziehungen zum Vereinigten Königreich. Nicht zuletzt seine Gründung 1946 war eine Entscheidung der damaligen britischen Besatzungsmacht. Viele Britinnen und Briten leben und arbeiten bei uns. Der Brexit ist deshalb für uns ausgesprochen bitter. Gleichwohl haben sich alle Akteure in Niedersachsen so gut wie möglich darauf vorbereitet. Unsere Hochseefischer sind allerdings besonders vom Brexit betroffen, weil der Verlust ihrer angestammten Fanggründe vor den britischen Inseln droht. Die Union darf diesen Verlust nicht hinnehmen. Deshalb muss möglichst zügig eine Vereinbarung über Zugangsrechte gefunden werden. Dieser Punkt ist für die Fischerei aller Nordsee-Anrainer und insbesondere für meine Region sehr wichtig. Ich bitte die EU-Kommission nachdrücklich, hier nicht nachzugeben. Nach den Verhandlungen ist vor den Verhandlungen. Und es ist nicht die Zeit, die Hände in den Schoß zu legen."
Annette Tabbara (SPD), Staatsrätin, Bevollmächtigte der Freien und Hansestadt Hamburg beim Bund, der Europäischen Union und für auswärtige Angelegenheiten: "Die Freie und Hansestadt Hamburg ist die größte Industriestadt in Deutschland mit dem drittgrößten Hafen in Europa. Wir pflegen traditionell sehr enge wirtschaftliche und gesellschaftliche Beziehungen zum Vereinigten Königreich. Daher sind wir in besonderem Maße vom Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU betroffen. Eine erfolgreiche Zeit nach dem Brexit kann nur gelingen, wenn alle Ebenen - Europa, Nationalstaat und Kommune - am selben Strang ziehen. Daher ist es dringend notwendig, dass die Vertreter der EU-Kommission sich mit den Kommunen darüber verständigen, an welchen normativen Vorgaben die Brexit-Gesetzgebung auszurichten ist. Und das sollte möglichst umgehend geschehen, da uns die Zeit davonläuft."
Dr. Mark Speich (CDU), Staatssekretär für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales (Nordrhein-Westfalen): "Sollte der Brexit kommen, haben wir gerade als Regionen eine Verantwortung, die engen kulturellen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Beziehungen nach Großbritannien zu pflegen und den Europagedanken im Vereinigten Königreich wach zu halten."
Gerry Woop (Die Linke), Staatssekretär für Europa (Land Berlin): "Der Austausch von Wissen und die Mobilität von jungen Menschen sind mit die erfolgreichsten Elemente europäischer Einigungspolitik. Ein vollständiger Ausschluss des Vereinigten Königreichs aus der europäischen Forschungsfamilie widerspräche dieser Erfolgsgeschichte."
Nach der Rede von Michel Barnier vor dem AdR-Plenum im März 2017 führte der AdR eine Bestandsaufnahme durch, um die möglichen Auswirkungen des Austritts des Vereinigten Königreichs auf die Regionen und Städte zu ermitteln. Ferner führte er Gespräche mit Vertretern der dezentralen Verwaltungen und nachgeordneten Gebietskörperschaften des Vereinigten Königreichs. Zudem hat er unter Städten und Gemeinden sowie regionalen Handelskammern eine Erhebung zur wirtschaftlichen Lage durchgeführt und eine Studie über die Auswirkungen des Brexits auf bestimmte Regionen in Auftrag gegeben. Der AdR verabschiedete im Mai 2018 einen politischen Beschluss. Darin rief Barnier die EU auf, sicherzustellen, dass die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften bei der Bewältigung der Herausforderungen infolge des Brexits "nicht allein gelassen werden".
Der AdR hat sich dafür ausgesprochen, den nächsten EU-Haushalt für die Jahre 2021-2027 nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs auf 1,3 Prozent des Bruttonationaleinkommens der EU-27 aufzustocken.
Die ganze Debatte zum Nachverfolgen: https://ec.europa.eu/avservices/video/player.cfm?ref=I164658
Fotos der Plenarsitzung zum Herunterladen: https://www.flickr.com/photos/cor-photos/albums/72157676379818768
AdR-Bestandsaufnahme der Auswirkungen des Brexit: http://ots.de/SqSjmL
Quelle: Europäischer Ausschuss der Regionen (ots)