Deutsche Agenten berichten von konkretem Freilassungsangebot der USA im Fall Kurnaz im Jahr 2002
Archivmeldung vom 15.02.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittUS-Stellen haben deutschen Geheimdienst-Agenten bei deren Besuch im Gefangenenlager Guantanamo im September 2002 ein konkretes Angebot unterbreitet, den dort inhaftierten türkischen Staatsbürger Murat Kurnaz im November 2002 nach Deutschland ausreisen zu lassen.
Zu diesem Angebot sind die US-Stellen vom
US-Verteidigungsministerium befugt gewesen. Das geht aus Aussagen
hervor, die zwei Agenten des Bundesnachrichtendienstes (BND), Klaus
R. und Martin D., am 1. Februar dieses Jahres vor dem
BND-Untersuchungssausschuss des Bundestags machten. Das berichtet
"stern.de", die Online-Ausgabe des Hamburger Magazins "stern". Die
Öffentlichkeit war von der Vernehmung ausgeschlossen worden.
Die beiden BND-Agenten waren im September 2002 in Begleitung eines
Referatsleiters des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) nach
Guantanamo gereist, um Kurnaz zu verhören. Dieser war dort seit
Februar 2002 inhaftiert.
Neu an den Aussagen ist, dass das Freilassungsangebot von Seiten
der USA offenbar vom Pentagon selbst gestützt wurde. Der damalige
Kanzleramtschef und heutige Außenminister Frank-Walter Steinmeier
(SPD) hatte Ende Januar in einem Interview der "Bild"-Zeitung gesagt,
ihm sei ein offizielles Angebot nicht bekannt. Auf "Agentenspiele"
habe er sich nicht einlassen können. BND-Agent R. sagte vor dem
Untersuchungsausschuss, dass seine US-Gesprächspartner auf Guantanamo
verdeutlicht hätten, dass ihr Angebot mit dem Pentagon abgestimmt
worden sei.
Das Angebot zur Freilassung Kurnaz' war nach Aussage des
BND-Sachgebietsleiters R. dabei nicht an Bedingungen geknüpft. Auch
Jan K., der Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, der mit nach
Guantanamo gereist war, sagte dem Untersuchungsausschuss am 1.
Februar 2007, dass seiner Auffassung nach keine Bedingungen an
Kurnaz' Freilassung geknüpft waren. "Eine Bedingung ist nie
formuliert worden", sagte K. laut Protokoll. "Wir haben nur in dem
Kontext einer möglichen Operation darüber gesprochen, ob Kurnaz nach
Deutschland kommt. Wir haben überlegt, wie man es, wenn er denn frei
käme, es dann zu einer Operation käme, organisatorisch anstellen
könnte, um möglichste einen geschickten Einstieg in die Operation zu
finden. Aber es gibt da kein Junktim." Damit bestritt K., dass eine
Spitzeltätigkeit Kurnaz' nach seiner Rückkehr nach Deutschland eine
Bedingung der Amerikaner für dessen Freilassung gewesen war. Ernst
Uhrlau, damals Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt und heute
BND-Präsident, hatte in der Vergangenheit die Ablehnung des Angebots
durch die Bundesregierung mit angeblichen Auflagen der Amerikaner
begründet.
Der Verfassungsschützer K. sagte in der Sitzung zudem, dass sich
bei der Vernehmung Kurnaz' keine Anhaltspunkte für Kontakte mit
Terroristen vor dessen Reise von Bremen nach Pakistan Dezember 2001
ergeben hätten. "Die Frage, ob er in ein etabliertes, bestehendes
Netzwerk eingebunden war und auf einem bereits etablierten
gesicherten Weg nach Pakistan gereist ist und dort Ansprechpartner
hatte, konnte ich nach dem Ergebnis der Befragung als relativ
unwahrscheinlich ansehen." K. sagte auch, die drei Deutschen seien
sich einig gewesen, dass Kurnaz keine Verbindung zu den afghanischen
Taliban gehabt habe. "Wir waren uns einig - das ist, denke ich, auch
unstreitig -, dass Kurnaz nicht in terroristische Strukturen
verwickelt war, dass er kein Taliban war, dass er keinem aktiven
Rekrutierungsnetzwerk angehörte."
Kurnaz wurde Ende Dezember 2001 in Pakistan festgenommen und
US-Behörden übergeben. Nach einem mehrwöchigen Aufenthalt in einem
US-Gefangenenlager in Afghanistan wurde er im Februar 2002 nach
Guantanamo überstellt. Im August 2006 wurde er frei gelassen.
Am 8. März dieses Jahres wird Außenminister Frank-Walter Steinmeier vor dem Untersuchungsausschuss aussagen.
Quelle: Pressemitteilung stern