Ärzte ohne Grenzen: Deutschland und EU torpedieren Grundrechte von Flüchtenden
Archivmeldung vom 16.06.2016
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 16.06.2016 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittÄrzte ohne Grenzen kritisiert die Bundesregierung scharf für ihre aktuelle Flüchtlingspolitik. "Mit dem von ihr maßgeblich ausgehandelten EU-Türkei-Abkommen ist Bundeskanzlerin Merkel zur Vorreiterin der Aussperrung von Schutzsuchenden aus Europa geworden", sagte Geschäftsführer Florian Westphal bei der Jahrespressekonferenz von Ärzte ohne Grenzen Deutschland am Donnerstag in Berlin. Die Folgen dieser Politik sehen die Teams der internationalen Hilfsorganisation jeden Tag - in Europa, an seinen Außengrenzen und bis in die Krisengebiete hinein. In bewaffneten Konflikten werde es gleichzeitig immer schwieriger, den Bedürftigen zu helfen, so Volker Westerbarkey, Vorstandsvorsitzender von Ärzte ohne Grenzen Deutschland. Helfende würden hier selbst zum Angriffsziel. Im Jahr 2015 gab es 106 Angriffe auf 75 von Ärzte ohne Grenzen unterstützte oder betriebene Einrichtungen.
"Die EU und ihre Mitgliedstaaten torpedieren das Grundrecht eines jeden, vor Gewalt zu fliehen und außerhalb des Heimatlandes Schutz zu suchen", so Westphal. "Als Folge dieser EU-Politik sind in diesem Jahr bereits fast 3.000 Menschen im Mittelmeer ertrunken: Einer alle 80 Minuten." Eine Syrerin beschreibt die Lage der Schutzsuchenden so: "Wir dürfen kein Flugzeug besteigen, wir dürfen nicht mit dem Schiff nach Europa fahren, auch nicht über Land. Es gibt keinen legalen Weg. Die Botschaft ist kristallklar: Wir müssen den Tod riskieren, um nach Europa zu kommen." Ärzte ohne Grenzen ist seit Ende April wieder mit drei Schiffen im zentralen Mittelmeer aktiv und hat bislang mehr als 3.500 Menschen aus Seenot gerettet. Westphal forderte von der EU legale Fluchtwege, mehr Einsatz bei der Seenotrettung sowie würdige Aufnahmebedingungen in Griechenland und Italien. Das Abkommen zwischen EU und Türkei nannte er zynisch und warnte davor, dass es zum "gefährlichen Präzedenzfall" für Abkommen mit afrikanischen Staaten werden könne.
In bewaffneten Konflikten werden immer öfter medizinische Einrichtungen angegriffen. 2015 gab es außer dem in der Öffentlichkeit stark wahrgenommenen Angriff auf das Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen im afghanischen Kundus Angriffe auf von der Organisation betriebene und unterstützte Einrichtungen in Syrien, im Südsudan, in der Zentralafrikanischen Republik, in der Ukraine und im Jemen. "Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen und humanitäre Helfer darf es nicht mehr geben", forderte Westerbarkey. "Patienten und Helfer werden getötet oder verwundet und Zehntausende ohne lebensnotwendige Gesundheitsversorgung zurückgelassen. Die Resolution des UN-Sicherheitsrates von Anfang Mai zum Schutz medizinischer Hilfe, für die Deutschland Ko-Sponsor war, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Auch Deutschland ist nun gefordert, sie in die Tat umzusetzen."
Ärzte ohne Grenzen Deutschland hat 2015 insgesamt 125,1 Mio. Euro eingenommen. 116,6 Mio. Euro (93,2%) stammten aus privaten Spenden und Zuwendungen. Das waren 2,9 Mio. Euro mehr als 2014. Die Ausgaben lagen 2015 bei 140,2 Mio. Euro. 125,2 Mio. EUR (89,3%) flossen direkt in rund 80 Projekte in mehr als 40 Einsatzländern.
Quelle: Ärzte ohne Grenzen (ots)