Ramelow empört über NRW-Vorstoß zu Ukraine-Flüchtlingen
Archivmeldung vom 22.03.2022
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićThüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hat empört auf einen Vorstoß des nordrhein-westfälischen Integrationsministers Joachim Stamp (FDP) zur Flüchtlingsverteilung reagiert. "Ich kriege Puls, wenn ich solche Sätze höre. Wenn man über ländliche Gebiete redet - warum fällt Herrn Stamp da nur der Osten ein? Es ist verletzend und unangemessen, im 32. Jahr der deutschen Einheit den Eindruck zu erwecken, man hätte irgendeine Region, mit der man sich Probleme vom Hals schaffen kann", sagte Ramelow der "Welt".
Stamp
hatte zuvor gefordert, wegen der hohen Zahl von Flüchtlingen aus der
Ukraine zu prüfen, "ob man in den eher einwohnerärmeren Regionen im
Osten möglicherweise großflächigere Einrichtungen bauen kann".
Unabhängig von diesem Vorschlag ist Ramelow der Meinung, "dass wir den
Ukrainern, die vor dem Krieg flüchten, dort besser helfen können, wo die
örtliche Versorgung - also medizinisch, aber auch Kindergärten oder
Schulen - mehr freie Kapazitäten hat", wie er sagte. "Das kann aber
genauso gut für Ostfriesland wie für Regionen in Thüringen gelten.
Städte wie Erfurt und Jena würden ebenso wie Berlin und Hamburg schnell
an ihre Grenzen kommen."
Nach Angaben von Ramelow wird erst
einmal geprüft, wo es leer stehende Gebäude gibt. "Unterkünfte zu bauen -
das würde implizieren, man gehe davon aus, dass die große Zahl der
Flüchtlinge nicht mehr zurückgehen werde. Würde das zutreffen, wären wir
in einer Situation, in der die Ukraine entvölkert wird. Das möchte ich
derzeit nicht mal denken", so der Regierungschef.
Vom Bund
forderte Ramelow mehr Engagement. "Der Bund, insbesondere das
Bundesinnenministerium, muss sich stärker um die Verteilung kümmern und
die Verteilungsstelle in Berlin als seine Zuständigkeit begreifen. Wenn
Menschen dort registriert wurden und ihre Formalitäten zum Aufenthalt
erhalten haben, sollten sie weiterverteilt werden. Wir bekennen uns in
diesem Kontext zum Königsteiner Schlüssel", sagte er.
Trotz der
Startschwierigkeiten erwartet er keine Akzeptanzprobleme. "Mit breiten
Protesten aus der Bevölkerung wie 2015 und 2016 rechne ich nicht. Es
macht einen Unterschied, dass es sich um Flüchtlinge aus der Ukraine
handelt - auch wenn mir diese Flüchtlingshierarchie unangenehm ist. Ich
nehme wahr, dass die Menschen sich hier freuen würden, Ukrainerinnen und
Ukrainer aufzunehmen."
Auch von kommunalen Verbänden kommt
einhellige Kritik an Stamps Vorschlag. "Es ist der falsche Zeitpunkt,
das jetzt zu diskutieren", sagte Ralf Rusch, Geschäftsführer des
Gemeinde- und Städtebundes Thüringen. Man merke in den täglichen
Abstimmungen, dass es noch viele andere Baustellen gebe.
"Da
hilft es wenig, wenn man auch noch den Königsteiner Schlüssel infrage
stellt. Wir sollten froh sein, dass wir einen solchen
Verteilungsmechanismus haben. Jeder weiß Bescheid und kann sich danach
richten. Diese kleine Sicherheit brauchen wir in diesen unsicheren
Zeiten." Es sei auch "problematisch, zu glauben, dass mit großflächigen
Einrichtungen eine gute Integration gelingt. Eine großflächige
Einrichtung erweckt Assoziationen zu einem Lager. Ich weiß nicht, wie
man da erfolgreich integrieren will. Integration findet doch da statt,
wo man zusammenlebt." Nach Ansicht von Michael Struckmeier,
Vizegeschäftsführer des Landkreistages Sachsen-Anhalt, geht Stamp von
verkehrten Annahmen aus. "Die Wohnungsmärkte sind auch hier angespannt,
besonders in den Städten", sagte Struckmeier. Mit dem Königsteiner
Schlüssel bestehe "ein bewährter Verteilungsmechanismus", der die
Überforderung einzelner Länder und deren Bevölkerung verhindern solle.
Sachsen-Anhalt habe den Königsteiner Schlüssel Ende vergangener Woche
"sogar übererfüllt". Der Vorschlag "großflächigere Einrichtungen" würde
"dem Ziel einer schnellen Integration der Geflüchteten in die
Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt zuwiderlaufen". Im Bundesland
Brandenburg verweist Jens Graf, Geschäftsführer beim Städte- und
Gemeindebund, auf einen Beschluss der Ministerpräsidenten-Konferenz,
wonach eine Verteilung nach Königsteiner Schlüssel erfolgen soll. Damit
sind "größere Anteile einzelner Bundesländer nicht vereinbar. Hinzu
kommt, dass jedenfalls im Land Brandenburg auch in den dünn besiedelten
Regionen die Einrichtungen der sozialen Infrastruktur, insbesondere
Kindertagesbetreuung, aber auch Schulen, auch schon vor dem
Ukraine-Krieg an ihre Grenzen gestoßen sind."
Quelle: dts Nachrichtenagentur