Caritas: Suppenküchen festigen Armut
Archivmeldung vom 23.12.2008
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Freigeschaltet durch Oliver RandakDie katholische Caritas und auch die evangelische Diakonie kritisieren die Tafelbewegung. Sie trage zum Rückzug des Staats aus der Daseinsvorsorge bei.
Die Caritas hat vor der Verfestigung von Armut durch
existenzunterstützende Dienstleistungen gewarnt. „Es kann kein Ziel
sein, auf Dauer ganze Gruppen von Menschen mit Kleiderkammern,
Suppenküchen und Sozialtarifen für Strom zu versorgen und auf diese
Weise Parallelwelten entstehen zu lassen“, sagte Caritas-Präsident
Peter Neher dem Tagesspiegel. Neher wies auf die wachsende Zahl von
Tafeln der sogenannten Tafelbewegung, aber auch innerhalb des eigenen
Verbandes hin, unter dessen Dach die Lebensmittelläden für Arme derzeit
ebenfalls eine „Renaissance“ erlebten.
Diakonie-Präsident Klaus-Dieter Kottnik nannte das „exponentielle
Wachstum der Tafelbewegung“ ein Alarmzeichen. Er hätte sich „vor Jahren
nicht träumen lassen, dass wir in Deutschland einmal 800 Tafeln haben“,
sagte Kottnik dem Tagesspiegel. Bundesweit wird die Tafelbewegung von
rund 35 000 Menschen unterstützt. Die älteste der inzwischen rund 800
Tafeln ist die in Berlin, sie wurde 1993 nach US-Vorbild gegründet.
Etwa ein Viertel der Tafeln befindet sich in kirchlicher Trägerschaft.
"Gefahr, dass es sich die politisch Verantwortlichen leicht machen“
„Die Caritas findet sich mit der wachsenden Normalität von
Lebensmittelausgaben nicht ab“, heißt es in einem Papier des
Caritas-Vorstands, das dem Tagesspiegel vorliegt. Und wörtlich: „Es
wäre fatal, wenn die politischerseits gern gesehene Tafelbewegung dazu
beiträgt, dass sich der Staat mit Hinweis auf die Bürgergesellschaft
aus der Daseinsvorsorge seiner Bürger sukzessive zurückzieht.“
Zwar sei es als „sehr positiv“ zu werten, dass sich so viele Menschen
und auch Unternehmen in bürgerschaftlichem Engagement an der Linderung
von Not beteiligten, sagte Neher. Allerdings wachse dadurch auch „die
Gefahr, dass es sich die politisch Verantwortlichen leicht machen“. Für
die gleichberechtigte Teilhabe aller Sorge zu tragen, sei aber Aufgabe
des Sozialstaats und nicht die von ehrenamtlichen Helfern. Außerdem
dürfe man nicht aus dem Auge verlieren, dass zu wirksamer
Armutsbekämpfung mehr nötig sei, als Notsituationen zu überbrücken.
„Wir müssen Menschen befähigen, ihren Haushalt und ihren Alltag selber
zu organisieren“, so Neher. Dazu gehörten Hinweise auf Rechte und
Ansprüche, die Verknüpfung mit Beratern und Begegnungsmöglichkeiten.
Längerfristig müssten sich zudem armutbegünstigende Strukturen ändern,
wichtig seien vor allem bessere Arbeits- und Bildungschancen.
Der Widerspruch betreffe doch alle Sozialverbände, kontert der
Bundesverband Deutsche Tafel. „Natürlich werden wir mit
instrumentalisiert im Rahmen staatlicher Sozialpolitik“, sagte
Vorstandschef Gerd Häuser dem Tagesspiegel. „Wir wollen den Staat nicht
aus seiner Daseinsfürsorge entlassen. Aber wir können die Bedürftigen
auch nicht im Stich lassen, bis sich irgendwann vielleicht etwas
ändert. Das wäre menschenverachtend.“
"Barmherzigkeit und Einsatz für mehr Gerechtigkeit“
Das Engagement der Helfer sei sehr lobenswert, weil man damit
eklatanter Not begegne, sagte Diakonie-Präsident Kottnik. Es müsse aber
„immer beides zusammenkommen: Barmherzigkeit und Einsatz für mehr
Gerechtigkeit“. So setze sich die Diakonie für höhere Hartz-IV-Sätze
ein. „Die Menschen müssen imstande sein, selber für ihre Ernährung
sorgen zu können. Mit dem derzeitigen Hartz- IV-Satz gelingt ihnen das
oft nicht mehr.“
Er habe großen Respekt vor den Ehrenamtlichen in der Tafelbewegung,
betonte auch Caritas-Präsident Neher. Zudem beteiligten sich viele
Unternehmen mit großem Engagement. Offenbar sei es ein Fakt, „dass es
in dieser Gesellschaft viele Lebensmittel gibt, die nicht anderweitig
verbraucht werden können“. Allerdings sei es „in niemandes Interesse,
jemanden auf Dauer in Abhängigkeit zu halten.“
Es sei „nicht so, dass auf einer Seite des Tresens die Charity-Lady und
auf der anderen der Hartz-IV-Empfänger steht“, betonte
Verbandssprecherin Anke Assig. Viele Bedürftige arbeiteten aktiv mit.
Manche Tafeln befänden sich in der Trägerschaft von
Arbeitslosenverbänden. Auch gebe es das Essen selten kostenlos. Meist
verlange man von den Nutzern zumindest einen symbolischen Beitrag.
Schließlich gehe es auch um Würde, sagt Tafel-Chef Häuser. Bedürftige
seien keine Almosenempfänger, „wir behandeln sie als Kunden“.
Entsprechend wäre für ihn „die Grenze überschritten, wenn wir
Fertigprodukte verteilen oder eine Vollversorgung übernehmen würden.“