Kindesmissbrauch auf Social Media: Polizei nutzt effektive Ermittlungsmethode bislang kaum
Archivmeldung vom 13.06.2024
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Freigeschaltet durch Mary SmithNach Recherchen von STRG_F setzen deutsche Ermittlungsbehörden die Methode der sogenannten "Scheinkindoperationen" selten ein, um auf Social Media aktiv gegen Cybergrooming und Kindesmissbrauch vorzugehen. Eine Abfrage aller Bundesländer ergab: Nur in Baden-Württemberg und Hessen führen die Behörden anlassunabhängig "Scheinkindoperationen" durch. Bei der Methode geben sich erwachsene Ermittler im Internet als Kinder aus, um Pädokriminelle zu überführen.
Im Jahr 2020 wurde die Gesetzgebung hierfür verschärft, so dass sich Täter auch strafbar machen, wenn sie vermeintliche Kinder im Netz kontaktieren und belästigen, die eigentlich Erwachsene sind. Professor Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger, Leiter des Instituts für Cyberkriminologie an der Polizeihochschule Brandenburg, wünscht sich einen vermehrten Einsatz der Methode: "Die Aufklärungsquote ist hoch, die liegt bei über 80 Prozent."
Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen greifen auf dieses Instrument nur bei anlassabhängigen Ermittlungen zurück. Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern gaben dazu keine Auskunft. Die restlichen zehn Bundesländer haben nach eigenen Angaben keine "Scheinkindoperationen" durchgeführt. Laut polizeilicher Kriminalstatistik wurden im Jahr 2023 durch "Scheinkindoperationen" 164 Tatverdächtige ermittelt.
Laut Professor Dr. Rüdiger fehlt das Abschreckungspotential auch aufgrund der wenigen durchgeführten polizeilichen "Scheinkindoperationen": "Das deutet für mich auch darauf hin, dass manche der Tatverdächtigen offenbar nur eine geringe Angst vor Strafverfolgung haben." Insgesamt könne die Wahrscheinlichkeit, angezeigt zu werden, auch eher als gering eingeschätzt werden.
Undercover-Recherchen von STRG_F auf der App Likee zeigen, dass mit der Methode schnell Täter ermittelt werden könnten. Likee ist eine Plattform, die ähnlich wie TikTok konzipiert ist. Allein im Google Playstore wurde sie über 500 Millionen Mal heruntergeladen. Durch einschlägige Missbrauchsurteile ist deutschen Ermittlungsbehörden bekannt, dass dort Pädokriminelle gezielt nach Opfern suchen. Drei Tage lang haben sich Journalistinnen von STRG_F als Kinder ausgegeben und konnten mehrere sogenannte Cybergroomer, also Personen, die gezielt sexuelle Kontakte mit Kindern über das Internet anbahnen, identifizieren. Die vermeintlichen 12- und 13-jährigen Mädchen wurden Ziel von Kindesmissbrauch ohne Körperkontakt und dazu aufgefordert, sogenannte Kinderpornografie zu erstellen und zu versenden. Im Interview sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser: "Es ist eine widerliche Form der Kriminalität. Es hat leider rasant zugenommen." Faeser kündigte im Interview mit STRG_F zwar an, dem nachzugehen "warum solche Apps nicht verboten werden". Die dafür zuständige Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen schreibt aber auf Anfrage: "Eine Sperrung ganzer Angebote sind Eskalationsstufen, die wir ergreifen, wenn alle anderen Maßnahmen zur Löschung eines Inhaltes ohne Erfolg sind". Das bedeutet: Zunächst will man sich dafür einsetzen, dass die Inhalte gelöscht und die Urheber strafrechtlich verfolgt werden. Man habe die App "ab sofort unter Beobachtung genommen".
Die Recherche zeigt außerdem, dass sich auf der App ein regelrechter Markt für sogenannte Kinderpornografie entwickelt hat: Kindern wurde Geld und Spieleguthaben angeboten, wenn sie sich nackt zeigen oder anderen Missbrauchshandlungen zustimmen. Derartige Inhalte sind nach Recherchen von STRG_F auch in Darknet-Foren abgeflossen.
Likee selbst teilt auf STRG_F Anfrage mit, man werde Maßnahmen ergreifen, um Kinder auf der App zu schützen. Inzwischen sind unter anderem einige Hashtags auf der App eingeschränkt bzw. gesperrt. STRG_F konnte auf der App dennoch weiter Grooming-Versuche nachvollziehen.
Nach einer Anfrage von STRG_F nimmt Apple Likee aus dem AppStore und teilt mit, sie verstoße gegen die Richtlinien. Im Google Playstore ist sie weiterhin verfügbar. Gegen einen Likee-Nutzer wird in Folge der STRG_F-Recherchen inzwischen ermittelt.
Quelle: NDR Norddeutscher Rundfunk (ots)