Lehrer kritisieren: "Eltern haben zu wenig Zeit für ihre Kinder"
Archivmeldung vom 27.12.2005
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittIn der bundesweiten Diskussion um Konsequenzen aus der Pisa-Studie und das Zusammenwirken von Schule und Elternhaus melden sich die Lehrer zu Wort. Im Auftrag des Magazins Reader's Digest befragte das Meinungsforschungsinstitut Emnid jetzt 500 Lehrer an deutschen Haupt-, Real- und Gesamtschulen sowie an Gymnasien. Das Ergebnis:
Die Lehrer fordern die Eltern auf,
die Kinder bei den schulischen Leistungen nicht unnötig unter Druck
zu setzen, den Nachwuchs mehr zu loben, gemeinsame Mahlzeiten zur
Regel zu machen, vor allem aber die Kinder ernst zu nehmen. So würden
58 Prozent der Lehrer den Eltern gerne sagen, dass die sich "zu wenig
Zeit für ihr Kind" nehmen.
Im Normalfall sind die Lehrer zur Zurückhaltung verpflichtet.
Abgesehen von Elternabenden und Sprechtagen können sie selten ihre
Meinung über die Schüler sagen. Die Umfrage, über die das Magazin
Reader's Digest in seiner Januar-Ausgabe berichtet, gewährt deshalb
interessante Einblicke in die Sorgen der Pädagogen. Ein Rat von
vielen: Eltern sollten öfters mal auf eigene Freizeitaktivitäten
verzichten, um mehr Zeit für die Kinder zu haben. So sei es sinnvoll,
mit den Kindern eine gemeinsame Fahrradtour oder eine Wanderung zu
machen, statt die Kinder vor dem Fernseher oder am Computer sitzen zu
lassen, um selbst Ruhe zu haben.
"Da bekommen Kinder das neueste Handy, die teuersten Turnschuhe,
aber die Kinder gehen kein einziges Mal mit ihnen in den Wald",
beklagt eine Lehrerin in der Umfrage. In diesem Zusammenhang fordern
45 Prozent der Lehrer die Eltern auf, den Kindern mehr Zuwendung zu
geben: "Loben Sie Ihr Kind, wenn es etwas gut gemacht hat oder sich
besonders angestrengt hat. Liebevolle Zuwendung stärkt sein
Selbstwertgefühl", so der Tipp der Lehrer. Wenn Kinder einen Vorfall
aus der Schule besprechen wollen, dürfe man sie nicht vertrösten,
sondern müsse sich möglichst umgehend mit dem Problem befassen. Die
Bitte der Lehrer: "Hören Sie Ihrem Kind erst einmal zu."
Aus Sicht der Pädagogen sollten Kinder daheim einen verlässlichen
Tagesablauf haben, um gefestigt zu sein. "Stehen Sie morgens mit
Ihrem Kind auf und frühstücken mit ihm", lautet der dringende Rat.
Überhaupt gelten regelmäßige Mahlzeiten als besonders wichtig für das
Zusammengehörigkeitsgefühl der Familie.
Mit Blick auf die Schulnoten warnen die Lehrer vor überzogenen
Reaktionen: "Schimpfen Sie nicht nach schlechten Leistungen. Sagen
und zeigen Sie Ihrem Kind, dass Ihre Liebe zu ihm nicht an seinen
Schulnoten hängt." Es sei falsch, die Kinder immer wieder zu
Höchstleistungen anzutreiben und unbedingt das Abitur zu verlangen.
So würden 44 Prozent der Lehrer den Eltern gerne einmal diesen Satz
sagen: "Ihre Erwartungen an Ihr Kind sind viel zu hoch."
Darüber hinaus fordern die Lehrer die Eltern auf, die
unterschiedlichen Entwicklungsstufen der Kinder zu respektieren. Es
gebe Phasen, in denen Kindern das Lernen leichter, dann wieder
schwerer fällt. "Gerade in der Pubertät, in der siebten und achten
Klasse, ist das oft schwierig." Wichtig sei deshalb, Probleme
frühzeitig zu erkennen und anzusprechen. Die Pädagogen raten deshalb
dazu, Elternabende, Sprechtage und Schulfeste zu besuchen und dort
den Kontakt mit den Lehrern zu suchen.
An einem Punkt freilich fordern die deutschen Lehrer deutlich mehr
Zurückhaltung von Vater und Mutter: bei den Hausaufgaben geht. 49
Prozent der Befragten würden den Eltern gerne sagen: "Ich schätze
Ihre Hausaufgaben, aber ich möchte, dass Sie Ihr Kind unterstützen,
sie selbst zu machen." Wer dem Nachwuchs zu sehr hilft, verhindere
deren Selbstständigkeit. Richtig sei es, Vokabeln abzufragen, eine
Aufgabe durchzusehen oder gemeinsam nach Informationen zu suchen.
Wenn dann noch Unklarheiten bestehen, sollten aber nicht die
Erwachsenen die Aufgabe lösen. Der Rat der Lehrer: In einer solchen
Situation sollte das Kind im Unterricht nachfragen, wenn es etwas
nicht verstanden hat.
Quelle: Pressemitteilung Reader's Digest Deutschland