Sie trifft eher Jüngere und macht depressiv: Was soziale Ausgrenzung im Alltag auslösen kann
Archivmeldung vom 04.05.2021
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 04.05.2021 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Sanjo BabićMenschen grenzen andere aus. Das ist ein allgegenwärtiges Verhalten und kann in vielen Bereichen auftreten. In einer großen Befragungsstudie hat ein Forschungsteam der Universitäten Koblenz-Landau, Mannheim und Basel erlebte soziale Ausgrenzung erstmals im Alltag und über einen längeren Zeitraum untersucht.
Die Forschenden wollten herausfinden, welche Faktoren es mehr oder weniger wahrscheinlich machen, dass Menschen in ihrem Alltag ausgegrenzt werden und welche langfristigen Konsequenzen Ausgrenzung nach sich zieht. Die zentralen Ergebnisse der Studie: Jüngere Erwachsene erleben mehr Ausgrenzung als ältere und ein verstärktes Maß an erlebter sozialer Ausgrenzung macht es wahrscheinlicher, in den darauffolgenden Jahren an Depression zu erkranken.
Bislang wurde soziale Ausgrenzung in der sozialpsychologischen Forschung primär in experimentellen Studien untersucht. Dabei werden die Studienteilnehmenden einer schwachen Ausgrenzungserfahrung ausgesetzt, die im Regelfall nur wenige Minuten dauert und keine weitreichenden Konsequenzen hat. "Im richtigen Leben sind Ausgrenzungserfahrungen jedoch oft deutlich gravierender und können sich über Wochen, Monate oder sogar Jahre ziehen", erklärt Juniorprofessorin Dr. Selma Rudert von der Universität Koblenz-Landau, die Erstautorin der Studie. Sie und ihre Forscherkollegen aus Mannheim und Basel nutzten Befragungsdaten, um soziale Ausgrenzung im Alltag zu untersuchen. Ihre Befragungsdaten stammen aus dem Sozioökonomischen Panel, eine repräsentative Wiederholungsbefragung von deutschen Privathaushalten. Insgesamt beantworteten über 2.700 in Deutschland lebende Erwachsene zwischen 18 und 97 Jahren, wie häufig sie in ihrem Alltag Ausgrenzung erleben.
Tatort Arbeitsplatz: Jüngere Menschen häufiger von Ausgrenzung betroffen
Die Daten zeigen einen Zusammenhang zwischen erlebter sozialer Ausgrenzung und Alter. Menschen höheren Alters berichteten seltener als jüngere Menschen über Ausgrenzungserlebnisse. Die Daten geben Hinweise darauf, dass dies mit dem Eintritt ins Rentenalter zusammenhängen könnte. "Der Arbeitsplatz ist eine vergleichsweise häufige Quelle sozialer Ausgrenzung und Menschen können sich oft nicht aussuchen, mit welchen Kolleginnen und Kollegen sie zusammenarbeiten wollen", unterstreicht Sozialpsychologin Rudert. Die Arbeitswelt ist außerdem häufig von vielen Stressfaktoren geprägt, wie etwa Zeitmangel, Fristen und beschränkte Ressourcen. Wenn Menschen zusammenarbeiten sollen, aber gleichzeitig um Stellen oder Beförderungen miteinander konkurrieren, entsteht ein Klima, das hochgradig anfällig für Ausgrenzung ist.
"Doch auch wenn ältere Menschen vergleichsweise seltener über Ausgrenzung berichten, gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass erlebte Ausgrenzung mit steigendem Alter als weniger schlimm wahrgenommen wird", so Rudert. So zeigen sich generell bei Menschen aller Altersstufen Zusammenhänge mit schlechterer Stimmung und geringerer Lebenszufriedenheit. Besonders gravierend sei, so die Wissenschaftlerin, dass Menschen, die von häufigerer Ausgrenzung berichten, ein höheres Risiko aufweisen, wenige Jahre später an einer Depression zu erkranken. "Viele dieser Zusammenhänge funktionieren vermutlich in beide Richtungen, so dass ein regelrechter Teufelskreis entstehen kann", schätzt Rudert. Auch wenn noch weiterer Forschungsbedarf besteht, um die Mechanismen hinter diesem Teufelskreis genauer zu untersuchen, vermuten Rudert und ihre Kollegen aufgrund der aktuellen Daten und vorangehender Forschung, dass häufige Ausgrenzung menschliches Wohlbefinden verringert und sozialen Rückzug sowie misstrauisches und feindseliges Verhalten gegenüber anderen verstärken kann. Als Reaktion darauf werden die Betroffenen womöglich noch häufiger ausgegrenzt.
"Die Ursachen, warum Menschen andere ausgrenzen, sind vielfältig", erklärt Rudert. Die Sozialpsychologie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Ausgrenzung. Ihre Forschung zeigt, dass Ausgrenzung gezielt eingesetzt wird, um eine Person für ein Fehlverhalten zu bestrafen oder eine unliebsame Person, die als belastend empfunden wird, fernzuhalten. Soziale Ausgrenzung kann auch auf eigenen Unsicherheiten beruhen oder rein versehentlich vorkommen.
Maßnahmen gegen Ausgrenzung
Anders als Mobbing oder Aggression ist soziale Ausgrenzung oft subtil und kann unentdeckt bleiben. "Betroffene wie auch das Umfeld sollten empfundene oder beobachtete Ausgrenzung offen thematisieren", so der Rat der Wissenschaftler. Auch Unternehmen, Organisationen und die Politik sollten das Thema Ausgrenzung stärker in den Blick nehmen und gezielte Konzepte entwickeln, um eine stärkere Inklusion zu erreichen. Denn Ausgrenzung ist im Alltag allgegenwärtig und kann in vielen Bereichen auftreten. Aufgrund von Stress und Wettbewerb sind insbesondere Schule und Arbeitswelt besonders riskante Umfelder, so die Vermutung der Forschenden. "Verbessertes Wissen über die Risikofaktoren für das Entstehen von Ausgrenzung kann dabei helfen, Ausgrenzung abzubauen und negativen Konsequenzen vorzubeugen", unterstreicht Rudert. Auf Basis der aktuellen Studienergebnisse lässt sich annehmen, dass verringerte Ausgrenzungserfahrungen das Auftreten von Depressionen vermindert. Das sei essentiell für das Wohlbefinden der Betroffenen aber auch aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive. Denn durch Depression und damit verbundene Arbeitsausfälle entstehen Jahr für Jahr volkswirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe.
Die Studien
Rudert, S. C., Janke, S. & Greifeneder, R. (2021). Ostracism breeds depression: Longitudinal associations between ostracism and depression over a three-year-period. Journal of Affective Disorders Reports. doi: https://doi.org/10.1016/j.jadr.2021.100118
Rudert, S. C., Janke, S. & Greifeneder, R. (2020). The experience of ostracism over the adult life span. Developmental Psychology, 56(10), 1999-2012. doi: https://doi.org/10.1037/dev0001096
Quelle: Universität Koblenz-Landau (ots)