Hildmann-Whistleblower kritisiert Ermittler: "Das BKA sollte mir dankbar sein"
Archivmeldung vom 24.06.2022
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 24.06.2022 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer Hildmann-Whistleblower Kai Enderes wirft den deutschen Behörden bei den Ermittlungen gegen Attila Hildmann Untätigkeit vor. "Ich frage mich, ob die nichts finden wollen oder technisch überfordert sind", sagte Enderes, 22, dem stern im Exklusiv-Interview. Enderes hatte rund ein Jahr für den antisemitischen Verschwörungs-Ideologen Attila Hildmann als IT-Administrator gearbeitet. Im vergangenen Herbst setzte er sich ab und übermittelte einen großen Datensatz an die Hacker-Gruppe Anonymous, die deutschen Behörden und einige Medien. Enderes wollte nach eigenen Angaben helfen, strafrechtlich relevante Beweise gegen Hildmann und andere Rechtsextremisten zu sammeln. Nun ist Enderes allerdings selbst im Fokus der Behörden. Wegen der Weitergabe privater und geschäftlicher Daten Hildmanns ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft gegen Enderes. Der Vorwurf: ein möglicher Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz.
Enderes kritisierte das Verhalten der Ermittler: "Das BKA sollte mir dankbar sein, dass ich ihnen die Arbeit abgenommen habe. Mir kommt es so vor, als wollten die von ihrer eigenen Untätigkeit ablenken." Es sei in Deutschland nicht sehr attraktiv, Whistleblower zu sein. Er habe die gestohlenen Daten ganz bewusst nicht nur an die Behörden übermittelt, sondern auch an Anonymous und verschiedenen Medien. "Ich traue den deutschen Behörden nicht. Deswegen wollte ich die Daten breit streuen, um zu verhindern, dass sie einfach in einem schwarzen Loch verschwinden." Auch durch Enderes gestohlene Daten waren zwei Fälle bekannt geworden, in denen deutsche Behörden-Mitarbeiter offenbar interne Ermittlungsdaten an Hildmann weitergegeben hatten.
Der Whistleblower reagierte auch auf Kritik an ihm. Die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) in Frankfurt hatte gegenüber dem NDR-Format STRG_F gesagt, dass den ZIT-Beamten "nur einer kleiner und offensichtlich veränderter Datensatz" übermittelt worden sei. Enderes sagte, die Vorsortierung sei eine Serviceleistung für die Ermittler gewesen: "Wir wussten ja schon, wie schmal die Cyberermittler personell und technisch aufgestellt sind, also haben wir ihnen nur potenziell strafrechtlich relevante Daten übermittelt. Das waren Hunderte von Gigabyte Rohdaten, verändert haben wir nichts." Trotzdem habe er dem BKA und der ZIT noch bei der Auswertung der Daten helfen müssen. Das BKA habe Probleme mit den Dateiformaten gehabt. Enderes sagte dem stern: "Ich war im Winter fast drei Monate in Frankfurt am Main in Hotel, um den Behörden zu helfen. Irgendwann haben die sich nicht mehr bei mir gemeldet."
Enderes fühlt sich nicht nur von den Behörden verraten, er ist auch von den Medien enttäuscht, insbesondere von dem NDR-Rechercheformat STRG_F. Die NDR-Journalisten hatten in der vergangenen Woche berichtet, ihren Recherchen zufolge sei Enderes für deutsche Ermittler "nicht auffindbar", nach ihm werde "gefahndet". Der Whistleblower sagte, das sei "absolut lächerlich". Er sei nicht auf der Flucht und die Behörden wüssten sehr genau, wie er zu erreichen sei. Das habe er den NDR-Journalisten auch gesagt. Enderes sagte: "Veröffentlicht haben die Journalisten die Behauptung aber trotzdem, und zwar mit der nebulösen Formulierung 'nach Recherchen von STRG_F', eine belastbare Quelle haben sie offenbar nicht." Er habe den Eindruck: Es sei den Journalisten offenbar egal, dass sie ihn als Freiberufler mit ihren "Diffamierungen" schädigten. Offenbar ginge es ihnen um Schlagzeilen. "Nach meiner Erfahrung als Whistleblower in Deutschland ist es echt schwer zu sagen, wer einen schlechteren Job macht: die Medien oder die Ermittlungsbehörden."
Der stern konfrontierte die Journalisten des NDR-Rechercheformats STRG_F mit Enderes Vorwürfen. Diese antworteten schriftlich: "Nach Informationen, die STRG_F vorliegen, wurden bezüglich Enderes Suchmaßnahmen veranlasst, da dieser für die Ermittler nicht auffindbar war (Personenfahndung zum Zwecke der Ermittlung des Aufenthaltsortes). Dass der Staatsanwaltschaft Berlin der Aufenthaltsort des Beschuldigten Enderes nicht bekannt ist und daher auch entsprechende 'Suchmaßnahmen' eingeleitet wurden, hat die Generalstaatsanwaltschaft Berlin uns auf Anfrage bestätigt. Tatsächlich äußern wir uns nicht weitergehend zu den Quellen, diese sind aus unserer Sicht jedoch belastbar. Dass Herr Enderes nicht auffindbar ist, gibt nicht die Einschätzung von STRG_F wieder, sondern bildet den Stand der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Berlin ab."
Der stern fragte auch die Generalstaatsanwaltschaft Berlin, ob es zutreffe, dass Enderes nicht auffindbar sei und nach ihm gefahndet werde. Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft antwortete, die Fragen könnten "leider in Hinblick auf den Verfahrensstand nicht beantwortet werden."
Quelle: Gruner+Jahr, STERN (ots)