Kriminologe Neubacher kritisiert Wahlkampfdebatten zur Kriminalitätsentwicklung: "Jonglieren mit Zahlen und Statistiken"
In der Debatte über die Kriminalitätsentwicklung in Deutschland hat der Kriminologe Frank Neubacher ein falsches Jonglieren mit Zahlen und Statistiken im Wahlkampf kritisiert. "Der Eindruck einer extremen Ausnahmesituation - im Kontext von Migration ist politisch manchmal sogar vom 'Staatsnotstand' die Rede - ist nicht zutreffend", sagte der Direktor des Instituts für Kriminologie der Universität zu Köln dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Montag-Ausgabe). Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) gelte in der öffentlichen Debatte als Maß aller Dinge. Dabei wiesen Polizei und Bundeskriminalamt selbst auf die Grenzen der PKS hin. Zwar habe es nach einem - durch Corona mitbedingten Rückgang der Gewaltkriminalität zwischen 2017 und 2021 in den zwei folgenden Jahren wieder einen Anstieg gegeben.
Für eine seriöse Einordnung seien jedoch längere Zeiträume in den Blick zu nehmen. "Die Zahlen zur Gewaltkriminalität lagen in den Jahren 2004 bis 2009 schon einmal so hoch wie derzeit. Wir können sogar feststellen, dass die Kriminalität langfristig, das heißt seit 1993, deutlich zurückgegangen ist", so der Experte. "Seit langem hören wir von der Politik das Bekenntnis zu einer evidenzbasierten Politik der Verbrechensbekämpfung und -prävention. Was aber tatsächlich geschieht und was wir gerade im Bundestagswahlkampf erleben, ist das Gegenteil. Für die angebliche Notwendigkeit gesetzlicher Verschärfungen und eines harten Durchgreifens wird mit Zahlen und Statistiken jongliert, die in ihrer Aussagekraft sehr begrenzt sind."
In der PKS orientiere sich die Kategorie "Kriminalität von Nicht-Deutschen" allein an der Staatsangehörigkeit. "Lebensverhältnisse, soziales Umfeld, Einkommen, Bildung von Tatverdächtigen - das spielt alles keine Rolle. Dadurch entsteht der Eindruck, Kriminalität hänge von der Nationalität ab. Das ist aber genauso falsch wie anzunehmen, Kriminalität hänge von der Konfession, vom Familienstand, von der Haarfarbe oder von der Eigenschaft als Linkshänder ab." Neubacher sprach überdies von einer Benachteiligung Nicht-Deutscher in der Kriminalstatistik. "Die PKS erfasst - bei Abschluss der polizeilichen Ermittlungen - zu gut 90 Prozent die von Bürgerinnen und Bürgern angezeigten und nur zu etwa zehn Prozent die durch die Polizei beobachteten Straftaten. Ob diese dann jemals angeklagt werden oder zu einer Verurteilung führen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Und: Bei den polizeilichen Feststellungen wie bei den Anzeigen von Privatleuten sind Nichtdeutsche benachteiligt." Ihnen gegenüber sei die Anzeigebereitschaft und auch die Intensität polizeilicher Kontrollen größer. "Das ist Konsens in der Kriminologie."
Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger (ots)