Kritik am Brandschutz in Stuttgart 21-Tunneln
Archivmeldung vom 30.03.2021
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Freigeschaltet durch Sanjo Babić"Report Mainz"-Recherchen: Bahn hat Evakuierung im Brandfall nicht digital simuliert und mobilitätseingeschränkte Fahrgäste nicht berücksichtigt. Das Bahn-Projekt Stuttgart 21 könnte sich wegen möglicher Nacharbeiten beim Brandschutz verzögern und teurer werden. Nach Recherchen des ARD-Politikmagazins "Report Mainz" wurde für die insgesamt 60 Tunnel-Kilometer die Evakuierung der Fahrgäste bei einem Brand nicht digital simuliert.
Das geht aus einem Schreiben von Anwälten der Bahn an das Eisenbahnbundesamt hervor, das dem Politikmagazin exklusiv vorliegt. Außerdem wurden Fahrgäste, die in ihrer Mobilität beeinträchtigt sind, für die Simulation nicht berücksichtigt. Das betrifft vor allem Familien mit Kindern, ältere und behinderte Menschen. Deshalb seien die von der Bahn genannten Evakuierungszeit nicht realistisch, sagte die Brandschutzexpertin Professor Kathrin Grewolls von der Hochschule Regensburg.
Im Ernstfall "unkalkulierbares Risiko"
"Report Mainz" hatte der Expertin für vorbeugender Brandschutz die recherchierten Unterlagen zur Prüfung vorgelegt. Grewolls erklärte, dass Fachleute mit digitalen Evakuierungssimulationen die Konsequenzen aus allen möglichen Gefahrenquellen berechnen und damit ein realistisches Rettungskonzept entwickeln können. Es sei deshalb unverständlich, dass die Bahn lediglich ein so genanntes "Kalt-Ereignis" simuliert habe, bei dem ein nicht brennender Zug im Tunnel zum Stehen kommt. Beispielsweise bei einer Entgleisung. Wenn das Szenario eines Tunnelbrandes für Stuttgart 21 nicht durchgespielt worden sei, gehe die Bahn im Ernstfall ein "unkalkulierbares Risiko" ein, sagte die Expertin. Auch Stuttgart 21-Kritiker, wie zum Beispiel die Gruppe "Ingenieure 22", halten den Brandschutz für unzureichend. Sie haben deshalb das Eisenbahn-Bundesamt, die zuständige Genehmigungsbehörde von Stuttgart 21, informiert und weitreichende Verbesserungen gefordert. Damit konfrontiert äußert sich die Bahn nur allgemein: Die Stuttgart 21-Tunnel würden "alle strengen Sicherheitsanforderungen" erfüllen. Außerdem sehe "das einschlägige Regelwerk [...] solche Simulationen nicht vor." Brandschutzexpertin Grewolls hält dies für eine Regelungslücke. Deshalb sei "hier die Politik" gefragt. Verkehrsminister Andreas Scheuer dagegen beteuerte, dass "die Sicherheit in Tunneln gewährleistet" und ein Rettungskonzept bereits "während der Planung mit den zuständigen Stellen abzustimmen" sei. Zur Regelungslücke sagte er nichts.
Kalkulierte Evakuierungszeit in Stuttgart 21 Tunneln zu niedrig?
Da die Bahn keinen Brandfall in den Tunneln simulieren ließ, erhielt sie im Ergebnis eine Evakuierungszeit von nur 15 Minuten. Dies sei nicht realistisch, sagt Professorin Kathrin Grewolls, "weil ich nicht nur junge, gesunde Menschen in einem Zug habe, sondern ich muss damit rechnen, dass ich bewegungseingeschränkte Personen habe, oder auch Personen mit einem erhöhten Platzbedarf, z. B. eine Mutter mit kleinen Kindern, sodass hier die Evakuierungszeiten deutlich höher ausfallen werden". Diese Fahrgäste aber kommen in der Evakuierungssimulation der Bahn nicht vor. Die Anwälte des Konzerns räumen in dem Schreiben, das "Report Mainz" vorliegt, tatsächlich ein, "dass mobilitätseingeschränkte Personen nicht betrachtet wurden". Die Bahn erklärt dazu: "Das Eisenbahn-Bundesamt hat als zuständige Behörde das Brandschutzkonzept für den künftigen Stuttgarter Hauptbahnhof und die zulaufenden Tunnel geprüft und genehmigt." Das Bundesamt verweist allerdings darauf, dass die Bahn erst noch eine "detaillierte Ausführungsplanung, wie auch die betriebliche Regelung zum Brandschutz" vorlegen müsse sowie ein Konzept für die Selbst- und Fremdrettung. Im Klartext: Die ganzheitliche Brandschutzplanung für die Stuttgart 21-Tunnel ist noch nicht abgeschlossen.
Verzögerungen wie beim Berliner Großflughafen BER?
Ob es wegen des Brandschutzes zu teuren Nachbesserungen und Verzögerungen bei Stuttgart 21 kommen könnte, wollte "Report Mainz" in der vergangenen Woche bei der Bilanz-Pressekonferenz der Bahn wissen. Die Antwort des zuständigen Vorstandes Ronald Pofalla: "Nach allen Erkenntnissen, die wir haben, werden wir die Neubaustrecke Ende 2022 und Stuttgart 21 Ende 2025 in Betrieb nehmen. Und so haben wir es dem Aufsichtsrat berichtet." Brandschutzexpertin Grewolls befürchtet dagegen, dass Stuttgart 21 ein ähnliches Schicksal droht, wie dem Berliner Großflughafen BER: "Dadurch, dass die ganzheitliche Brandschutzplanung noch nicht abgeschlossen ist und auch die Prüfung noch nicht abschließend vorliegt, müssen wir damit rechnen, dass weitere Maßnahmen erforderlich werden. Und die natürlich dazu führen, dass das Projekt teurer wird und dass auch die fristgerechte Fertigstellung von Stuttgart 21 in den Sternen steht."
Quelle: SWR - Das Erste (ots)