rbb24 Recherche exklusiv: Scheinfirmen erschleichen Millionen aus deutschen Sozialkassen - GKV warnt vor bandenmäßigem Sozialbetrug
Kriminelle Banden nutzen fingierte Arbeitsverträge und Scheinunternehmen, um sich in Deutschland unrechtmäßig Zugang zu Sozialleistungen zu verschaffen. Jährlich entstehen dadurch Schäden in Millionenhöhe - zulasten der gesetzlichen Sozialkassen. Das geht aus Dokumenten und Informationen hervor, die der Redaktion rbb24 Recherche vorliegen.
Nach Erkenntnissen des rbb nutzen die Täter dafür marode Firmen oder gründen sogenannte "Scheinfirmen". Obwohl diese Unternehmen keine wirtschaftliche Tätigkeit nachweisen können, melden die Betrüger bei den Krankenkassen sozialversicherungspflichtig beschäftigte Mitarbeiter an. Als Beleg dienen häufig gefälschte Arbeitsverträge. Mit dieser Methode verschaffen sich die vermeintlichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Zugang zu Sozialleistungen wie Krankengeld oder medizinische Behandlungen. Sozialabgaben werden hingegen nicht abgeführt. Der Missbrauch kann über Jahre gehen, bis Gläubiger wie beispielsweise die Krankenkassen Insolvenzantrag stellen. Die Unternehmen werden oft von sogenannten "Strohmännern" aus Osteuropa geführt, die zwar formal haften, in der Regel aber vermögenslos sind.
Der GKV-Spitzenverband spricht gegenüber dem rbb von einem "gezielten, bandenmäßigen Betrug, der die Solidargemeinschaft schädigt". Die Scheinfirmen seien ein "relevantes Problem für das deutsche Gesundheitswesen".
Insbesondere die fehlende Abstimmung zwischen den einzelnen Trägern der Sozialversicherung mache es den Tätern leicht, so der Verband weiter. GKV-Sprecher Florian Lanz fordert daher Konsequenzen: "Wir reden hier von etlichen Millionen Euro Schaden jährlich. Es braucht dringend einen besseren Informationsaustausch zwischen Krankenkassen, Rentenversicherung und Arbeitsagenturen, um solche Strukturen frühzeitig zu erkennen."
Nach rbb-Recherchen geraten besonders Krankenkassen bei dieser Betrugsmasche unter Druck. Ralf Selle, Beauftragter zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen bei der AOK Nordost, sagt im rbb-Interview: "Diese Scheinfirmen sind ein Einfallstor in das deutsche Sozialversicherungssystem und werden vermutlich im größeren Umfang genutzt."
Die gesetzlichen Krankenkassen seien auf die Angaben der Arbeitgeber angewiesen, erklärt Selle. Eigene Prüfmechanismen gebe es nicht: "Die Krankenkassen müssen davon ausgehen, dass die gemeldeten Daten korrekt und rechtmäßig sind - eigene Kontrollen sind nicht vorgesehen." In der Praxis führe das dazu, dass Menschen über Monate oder sogar Jahre versichert bleiben und Leistungen beziehen, obwohl sie nicht arbeiten und keine Beiträge für sie eingezahlt wurden.
Warum Beitragssäumnisse oft erst spät bemerkt werden, liegt laut Selle am gesetzlich geregelten Ablauf: Nach ausbleiben der Zahlungen folgen erst Mahnungen, dann Pfändungsversuche und in letzter Konsequenz ein Insolvenzantrag. "Dieser Prozess kann sich - je nach Fall - über viele Monate hinziehen", so Selle gegenüber dem rbb. Nach rbb Recherchen kann es auch Jahre dauern, bis der Missbrauch beendet wird.
Ein strukturelles Problem sieht Selle zudem im mangelnden Datenaustausch zwischen den Trägern der Sozialversicherung. "Der Austausch ist dringend notwendig und wichtig", sagt er. Gesetzliche Hürden verhinderten bislang einen effektiven Abgleich zwischen Krankenkassen, Jobcentern und Rentenversicherung. Nur mit einem gezielten Informationsaustausch lasse sich Leistungsmissbrauch frühzeitig erkennen und eindämmen.
Die rbb-Recherchen belegen anhand konkreter Fälle, dass über Scheinfirmen ganze Gruppen nicht auffindbarer Arbeitnehmer angemeldet werden - mit dem Ziel, systematisch Sozialleistungen zu beantragen. Dabei agieren die Täter arbeitsteilig und hochprofessionell. Oft sind die Scheinfirmen Teil größerer kriminellen Netzwerke.
Quelle: rbb - Rundfunk Berlin-Brandenburg (ots)