Experten warnen: Gefahr der Organisierten Kriminalität wird unterschätzt
Archivmeldung vom 08.02.2021
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Freigeschaltet durch André OttIm Interview mit dem Norddeutschen Rundfunk warnt der Leiter der Abteilung Schwere und Organisierte Kriminalität bei der europäischen Polizeibehörde Europol, Jari Liukku, vor einem wachsenden Gefahrenpotential durch Organisierte Kriminelle. Die Organisierte Kriminalität habe sich in den vergangenen Jahren in Europa "dynamisiert".
Liukku weiter: "Organisierte Kriminelle stellen heute eine größere Gefahr für die Sicherheit in Europa dar, als etwa der Terrorismus". Dieser Gefahr sei man in den vergangenen Jahren nicht mit der Aufmerksamkeit begegnet, die angemessen sei.
In einer unlängst veröffentlichten Untersuchung warnt Europol davor, dass die Anzahl von Gewalttaten im Umfeld der Organisierten Kriminalität gestiegen sei. Zudem deutet die Analyse darauf hin, dass kriminelle Banden auch vor tödlicher Gewalt immer weniger zurückschreckten. Von Gewalttaten seien inzwischen nicht nur Kriminelle untereinander betroffen, sondern beispielsweise auch Mitarbeitende von Strafverfolgungsbehörden, Rechtsanwälte, Journalisten oder Hafenarbeiter, die sich weigerten mit Kriminellen zusammen zu arbeiten.
Das Problem gehe aber deutlich über Gewalttaten hinaus, warnt Liukku. "Egal ob es um Menschenhandel, Drogenhandel, Korruption, Umweltdelikte, Geldwäsche oder Waffengeschäfte geht: Die Gefahren, die von Organisierten Verbrecherbanden ausgehen, sind vielfältig und betreffen die gesamte Gesellschaft." Likku forderte die europäischen Polizeibehörden dazu auf, verstärkt zu kooperieren und Informationen untereinander auszutauschen.
Der stellvertretende Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, Günther Maihold, geht davon aus, dass nicht zuletzt der wachsende Drogenhandel kriminelle Banden in Europa gestärkt habe. Maihold berät unter anderen die Bundesregierung und das Bundeskriminalamt in Sicherheitsfragen. Der massive Zustrom von Erlösen aus den Drogengeschäften stehe für neue Straftaten zur Verfügung, unter anderem für den "Aufkauf von Autoritäten". Zudem stelle er fest, dass sich verstärkt kriminelle Organisationen aus dem Ausland in Europa festsetzten, um sich so "Absatzmärkte für Drogen und andere Güter zu erschließen".
Die Bundestagsabgeordnete Irene Mihalic (Bündnis 90 / Die Grünen) sagte dem NDR, es reiche nicht aus, dass sich die sicherheitspolitische Debatte auf "Wohnungseinbrüche oder Clan-Kriminelle" konzentriere. Man müsse sich vor Augen führen, dass "die italienische Mafiaorganisation 'Ndrangheta mit hochkriminellen Tätigkeiten, wie z. B. den Handel mit Kokain, einen Jahresumsatz von rund 50 Milliarden Euro erzielen soll". Hieraus erwachse eine ernste Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Die Polizeien in Bund und Ländern müssten in die Lage versetzt werden, "aufwendige Strukturverfahren" durchzuführen, um an die Hinterleute von Verbrecherbanden heranzukommen.
Der Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler, sagte, die Politik unterschätze das Problem, auch weil das Ausmaß der Organisierten Kriminalität nicht offen sichtbar sei. Mafia-Organisationen und andere kriminelle Banden hätten eine Art Parallelwirtschaft geschaffen. "Während auf legalen Märkten das Bürgerliche Gesetzbuch Streitigkeiten regelt, sind das in der Welt der Organisierten Kriminellen Gewalt und Korruption." Fiedler forderte die Bundesregierung dazu auf, eine Dunkelfeldstudie anzustoßen.
NDR Info veröffentlicht heute (Montag, 8. Februar) die Radio- und Podcastserie "Organisiertes Verbrechen - Recherchen im Verborgenen". Darin berichten NDR Reporter von ihren Recherchen im Bereich der Organisierten Kriminalität. In den Folgen 1 bis 3 ("Der große Sprung") geht es um mexikanische Drogenkartelle, die derzeit nach Europa drängen. In den Folgen 4 bis 6 ("Die Libanon Connection") werden libanesische Geldwäschenetzwerke und ihre Verbindung zur Hisbollah beleuchtet. Die Reporter nehmen die Zuhörenden mit zu ihren Recherchen in die Niederlande, nach Frankreich, Westafrika, Mexiko und in den Nahen Osten. Im Gespräch mit Expertinnen und Experten werden die Ergebnisse der Recherchen diskutiert und eingeordnet.
Quelle: NDR Norddeutscher Rundfunk (ots)