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Soziologe Bude: "Die Documenta hat ein Glaubwürdigkeitsproblem"

Archivmeldung vom 21.08.2020

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 21.08.2020 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott
Hinweisschilder vor dem Fridericianum
Hinweisschilder vor dem Fridericianum

Foto: Olaf Kosinsky
Lizenz: CC-BY-SA-3.0
Die Originaldatei ist hier zu finden.

Der Soziologe Heinz Bude, frisch ernannter Gründungsdirektor des Documenta-Instituts, spricht sich für eine Erforschung der nationalsozialistischen Vergangenheit einiger Gründungsfiguren der Documenta aus.

"Die Documenta hat offensichtlich ein Glaubwürdigkeitsproblem. Dieses Problem wäre noch viel größer, wenn wir uns nicht mit den Fragen der Vergangenheit beschäftigen würden", sagte Bude im Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" und ergänzte: "Die Ursprünge der Bundesrepublik als Gesellschaft nach dem Nationalsozialismus sind außerordentlich kontaminiert." Die 1955 erstmals ausgerichtete Kasseler Weltkunstschau mache da keine Ausnahme.

Zugleich empfiehlt Bude gerade Wirtschaftsleuten den Besuch der Documenta. "Wenn Deutschland in der Weltökonomie weiter seine Rolle spielen will, dann muss man sich auch darum kümmern, wie die Länder, die neu in die Weltgesellschaft eintreten, sich präsentieren und welche Themen dabei eine Rolle spielen. Wenn Wirtschaftsleute einigermaßen klug über die Documenta gehen und die Dinge auf sich wirken lassen, dann lernen sie etwas über die Vielgestaltigkeit und Vernetztheit der heutigen Welt", sagte der Soziologe. Die Kunst könne einen Beitrag dazu leisten, Konfliktlagen auszugleichen und neu zu integrieren. Bude sieht "ein Motiv der Heilung in der Gegenwartskunst am Werke": "Denken Sie an Ruangrupa, das neue Team, das die nächste Documenta kuratieren wird. Die sind auf der Suche nach den selbstorganisatorischen, ja selbstheilenden Kräften der Gesellschaft." Diese Wirkung wird laut Bude gerade dadurch möglich, dass jene Kunst, die die Documenta zeigt, nicht den Interessen des Kunstmarktes folgt. "Gerade die Kunst der Documenta zeigt ja, dass es auch Künstlerinnen und Künstler mit Wirkung gibt, die ökonomisch gar nicht so erfolgreich sind. Es ist nicht so, als ob die Teilnahme an der Documenta ein Ticket dafür sei, um auf den globalen Kunstmärkten reüssieren zu können."

Gleichzeitig tritt Bude dafür ein, die Rolle wichtiger Akteure der Kunstwelt kritisch unter die Lupe zu nehmen. Zu den Akteuren, deren Wirken er kritisch sieht, gehören die in der Kunstwelt bisweilen übermächtig wirkenden Kuratoren. "Ein heikler Punkt ist meiner Meinung nach, dass Kuratoren heute als Metakünstler jene Kunst hervorbringen, auf die sie sich beziehen. Man könnte von einem Zirkelschluss der Selbstautorisierung sprechen. Auch da haben wir eine Star-Klasse von Kuratoren, die wie Stars des Fußballs mit hohen Ablösesummen gehandelt werden. Man kennt sich, man trifft sich, man bedient sich", sagte der Gründungsdirektor des Documenta-Instituts. Künftige Forschung sollte sich seiner Meinung nach mit den "blinden Flecken und trügerischer Selbstverständlichkeit einer globalen Zirkulation von Konzepten, Referenzen und Allianzen" befassen.

Heinz Bude ist Professor für Soziologie an der Universität Kassel. Er forscht über Fragen der Generationen und der Inklusion. Zuletzt publizierte er das Buch "Solidarität. Die Zukunft einer großen Idee".

Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung (ots)

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