"Rechtsbeuger raus!" - Justizkritiker demonstrierten
Archivmeldung vom 09.05.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 09.05.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt"Rechtsbeuger raus!" Diese Parole prangte auf einem Transparent vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main. Ein Dutzend Demonstrantinnen und Demonstranten hatte sich am Samstag (6. Mai) vor dem Gerichtsgebäude an der Zeil zu einer justizkritischen Manifestation versammelt.
Auf einer Wäscheleine hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Aktenzeichen
ihrer Fälle aufgereiht. Vorüberkommenden Passanten berichteten sie von ihren
Erfahrungen mit der Justiz. Jeder von ihnen sieht sich als Opfer einer
ungerechten Behandlung durch Behörden oder Gerichte.
Sein Beharren auf einen Konferenzbeschluss und eine anschließende Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den
Schulleiter führten im Fall eines Frankenberger Lehrers zu ganz anderen
Konsequenzen als erwartet: Der als Alkoholiker bekannte Schulleiter wurde
befördert. Der Lehrer hingegen wurde gegen seinen Willen in den vorzeitigen
Ruhestand versetzt.
Ein Maschinenbau-Ingenieur aus Bayern hatte den
Heizungsinstallateur verklagt, der für die Heizungsanlage in seinem neugebauten
Haus verantwortlich zeichnete. Ein Gutachten des Bundesamtes für Materialprüfung
belege, dass der Heizungsbauer dabei Fehler gemacht hatte. Doch die Richterin
sei lieber ihrem örtlichen Gutachter gefolgt, obwohl der nicht auf dem Stand
der Technik gewesen sei. Als der Maschinenbau-Ingenieur bei der Scheidung von
seiner Frau wieder vor derselben Richterin stand, war ihm klar, dass er von ihr
keine Gerechtigkeit zu erwarten hatte. Sie habe ihm sogar verboten, Anträge zu
stellen.
Der Einbau einer Solaranlage bescherte einem Mann aus dem
Ruhrgebiet unangenehme Erfahrungen mit der Justiz. Die Anlage erreichte bei
weitem nicht die im Prospekt versprochenen Einspar-Werte. Doch seine Beschwerden
über diesen Betrug blieben wirkungslos. Die betreffende Firma habe mit ihrem
Vorgehen sogar noch unangefochten weitermachen können.
Teure
Prüf-Zertifikate erwiesen sich bei einem anderen Justiz-Opfer als falsch. Die
Gerichte hätten jedoch die Tarn-Adresse der GmbH, die diese unbrauchbaren
Zertifikate verkauft hatte, nicht durch eine Hausdurchsuchung überprüfen lassen
wollen.
Im Gegensatz zum deutschen GmbH-Gesetz hielten sie den Briefkasten
an einem Frankfurter Hochhaus-Turm für ausreichend und lehnten ein weiteres
Vorgehen ab. Im Prospekt des Vermieters werde sogar damit geworben, man könne in
diesem Hochhaus "glaubwürdige Adressen" und entsprechende Telefonnummern mit
Weiterschaltung mieten, erklärte der Demonstrationsteilnehmer. Die britischen
Behörden warteten währenddessen nur auf eine Anfrage der
deutschen
Strafverfolgungsbehörden, um auch gegen die englische Muttergesellschaft dieser
GmbH vorzugehen.
Ein Vater berichtete von seinem Kampf um das
Besuchsrecht für sein uneheliches Kind. Monatelang sei ihm das zuerkannte Recht
dann von den Behörden vorenthalten worden.
Sein entschiedenes Eintreten
gegen Neonazis brachte einen Physiker aus Amöneburg in konflikt mit der Justiz.
Neofaschistische Aktivitäten eines Polizisten-Sohns habe die Behörde nicht
verfolgen wollen. Eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Polizeibeamte endete mit
einer Verurteilung wegen "falscher Verdächtigung".
Zahlreiche weitere
Fälle stellten die Demonstrierenden bei ihrer Aktion an der Frankfurter Zeil
vor. In all diesen Fällen sei den Betroffenen rechtliches Gehör verweigert
worden. Fehlleistungen der Justiz hätten in
aller Regel gravierende Folgen
für die Opfer, nicht aber für die Täter.
Hier müsse sich etwas ändern. So
müsse beispielsweise die Möglichkeit verbessert werden, Richter und
Staatsanwälte wegen offenkundiger Rechtsbeugung zur Rechenschaft zu ziehen. Das
ist in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte bislang praktisch noch nie
vorgekommen.
Deswegen wollen die Teilnehmer der Demonstration vom 6. Mai
weitermachen. Künftig soll jeden Monat eine justizkritische Demonstration vor
dem Oberlandesgericht Frankfurt stattfinden. Auch in anderen Städten
Deutschlands soll es bald ähnliche Aktionen geben.
Quelle: Pressemitteilung Humanistische Union e.V.
Die Humanistische Union ist die älteste Bürgerrechtsorganisation in der Bundesrepublik. Seit 1961 hat sie sich unter anderem eingesetzt gegen Notstandsgesetze, menschenunwürdige Verhältnisse in Gefängnissen und Psychiatrie, § 218 StGB, Berufsverbote, Volkszählung, Einschränkung des Asylrechts und den Lauschangriff. Mit Veranstaltungen, Stellungnahmen, Veröffentlichungen und in enger Zusammenarbeit mit anderen Initiati-ven, engagierten Einzelpersonen und kritischen Fachleuten mischt sie sich ein, wenn Menschen und Bürger-rechte eingeschränkt werden.