Günter Grass hadert immer noch mit der deutschen Einheit
Archivmeldung vom 21.01.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittFast 20 Jahre nach dem Mauerfall hat Günter Grass seinen Frieden mit der deutschen Einheit noch nicht gemacht. "Ich fand großartig, dass die Teilung vorbei ist. Ich habe es ja nicht nur als eine Teilung Deutschlands, sondern auch als eine Teilung Europas gesehen", sagte der Literaturnobelpreisträger im Gespräch mit der ZEIT.
"Ich bin immer gegen die Teilung, aber auch immer gegen die Form der Einheit gewesen. Die Einigung hat bis heute nicht stattgefunden, die Einheit ist vollzogen, steht aber nur auf dem Papier."
Grass, der Ende des Monats sein Tagebuch aus dem Jahr 1990 veröffentlicht, gestand ein, manche Entwicklung nicht richtig vorhergesehen zu haben: "Eine meiner Befürchtungen war, dass durch den Anschluss und Berlin als Hauptstadt ein zentral regierter Staat entstehen könnte. Doch das ist nicht eingetreten, Gott sei Dank. Aber alles andere ist über mein Schwarzsehen hinausgegangen. Alle Probleme sollten mit Geld gelöst werden, aber auch das war nur gepumpt. Was wir heute als große Finanzkrise erleben, dieser Raubtierkapitalismus, begann sich schon damals abzuzeichnen. Wir löffeln jetzt die Suppe aus, die wir uns damals eingerührt haben."
Das Argument, die Politik sei den Ereignissen ohne Chance auf aktive Gestaltung hinterhergehechelt, lässt Grass nicht gelten: "Man hat's gar nicht versucht! Es ging alles nach dem Motto: Macht's wie wir, dann seid ihr demnächst auch reich. Aber es gab nur Versprechungen, keine Investitionen. Nach der Währungsreform 1948, als sich abzeichnete, dass Großbetriebe wie Salzgitter oder VW eine Privatisierung nicht überstehen würden, hat Ludwig Erhard sie verstaatlicht und erst nach der Sanierung mit Staatsgeldern Aktien ausgegeben. So hätte man es in den neuen Ländern auch machen können."
Auf die Frage, was er sich von der Veröffentlichung des Tagebuchs im deutsch-deutschen Jubiläumsjahr erhofft, sagte Grass: "Ich möchte einigen Sonntagsrednern in die Suppe spucken. Aber ich bezweifle, dass sie das überhaupt zur Kenntnis nehmen. Die Sonntagsreden sind schon geschrieben."
Quelle: DIE ZEIT