Eher spirituell als religiös
Archivmeldung vom 23.02.2012
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtForscher der Universität Bielefeld und der University of Tennessee at Chattanooga veröffentlichen Ergebnisse einer Online-Befragung „Ich bin eher spirituell als religiös“ – diesen Satz bejaht die Hälfte der Befragten. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie einer Kirche angehören oder nicht. Das ist ein Ergebnis einer interkulturellen Studie der Universität Bielefeld und der University of Tennessee in Chattanooga, USA. Das Forschungsprojekt soll klären, was Menschen unter den Begriffen Spiritualität und Religiosität verstehen, wie dies mit ihrer Persönlichkeit und Biographie zusammenhängt und was dies für ihr Leben bedeutet. Das Projekt läuft noch bis Ende 2012.
Teil des Projekts ist eine Online-Befragung, an der insgesamt 1.886 Personen in Deutschland und den USA teilgenommen haben und deren erste Auswertungen jetzt vorliegen. Die Forscher kommen zu einem überraschenden Ergebnis: Erstaunlich viele Menschen, die keiner Religionsgemeinschaft angehören, auch viele, die sich selbst als Atheisten verstehen, bezeichnen sich als spirituell.
Die Online-Befragung dauerte von April 2010 bis Mai 2011. Aus Deutschland nahmen 773 Personen teil, aus den USA 1.113 Personen. Die deutschen Teilnehmenden waren durchschnittlich 43 Jahre alt, die amerikanischen 34 Jahre. Auffällig ist den Forschern zufolge, dass der Begriff „Spiritualität“ auch von Personen für sich in Anspruch genommen wird, die noch nie einer Religionsgemeinschaft angehört haben oder aus Kirchen und Religionsgemeinschaften ausgetreten sind, darunter eine erstaunliche Minderheit, die sich ausdrücklich als Atheisten, Nontheisten, Agnostiker bezeichnen. Unter den Teilnehmern der Studie, die keine Religionszugehörigkeit angeben, versteht sich jeder zweite „eher spirituell als religiös“. Bemerkenswert ist laut dem Forscherteam, dass „Spiritualität“ auch für eine Mehrheit derjenigen, die einer Religionsgemeinschaft angehören, hohe Attraktivität besitzt.
„Spiritualität“ erscheint damit generell als ein Konzept, mit dem sich viele Menschen besser identifizieren können als mit „Religion“ oder „Religiosität“. Einen Grund sehen die Bielefelder Wissenschaftler in der Mehrdeutigkeit des Begriffs: Manche Menschen nutzen ihn, um sich von organisierter Religion abzugrenzen und darauf hinzuweisen, dass sie nicht institutionell gebunden sind, teils auch den Glauben an Gott ablehnen, aber dennoch wissen, was ihnen heilig ist. Für andere ist der Begriff „Spiritualität“ durchaus mit ihrer Konfessionszugehörigkeit und ihrem Glauben an Gott verbunden. Auch in Kirchen und Religionsgemeinschaften hat die Selbstbezeichnung „ich bin mehr spirituell als religiös“ Konjunktur.
Mit biographischen Einzelinterviews wollen die Wissenschaftler jetzt den Zusammenhang von erlebter Spiritualität und eigener Biografie beleuchten. „Spiritualität“ – was immer jemand darunter versteht – entwickelt sich individuell, beeinflusst von prägenden Erfahrungen, besonderen Lebensereignissen oder bedeutenden Begegnungen“, sagt die Diplom-Psychologin Dr. Barbara Keller, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Projekts zu Spiritualität, das von der Universität Bielefeld aus koordiniert wird. Leiter des kulturvergleichenden Forschungsprojekts ist Professor Dr. Heinz Streib von der Forschungsstelle Biographische Religionsforschung der Universität Bielefeld.
Das Projekt „Spiritualität in Deutschland und den USA“ wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. In einem vorherigen Projekt – der Bielefelder kulturvergleichenden Dekonversionsstudie – hatten die Wissenschaftler erforscht, warum Menschen ihrer Religionsgemeinschaft den Rücken gekehrt haben und welche Folgen dies für sie hatte.
Quelle: Universität Bielefeld (idw)