Öko-Institut fordert: Ausstieg aus der Atomkraft muss weiter verfolgt werden
Archivmeldung vom 19.04.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer Ausstieg aus der Atomkraft muss konsequent weitergeführt werden. Zu dieser Einschätzung kommt das Öko-Institut kurz vor dem 20. Jahrestag des Reaktorunfalls in Tschernobyl. "Wir verstehen den Atomausstieg gerade jetzt, wo sich Tschernobyl jährt, als eine besondere Mahnung an die nachfolgende Generation", sagt Dr. Bettina Brohmann, Energieexpertin am Öko-Institut in Darmstadt.
"Eine Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken ist hingegen eine energie- und umweltpolitische Rolle rückwärts", sagt sie.
Keines der Ziele, die von den Protagonisten einer Laufzeitverlängerung
formuliert werden, hat in der Realität Bestand. Weder sinken die Strompreise,
noch können Kohlenstoffdioxid-Emissionen vermieden werden, wenn die Laufzeit der
Kernkraftwerke über den verabredeten Konsens hinaus verlängert wird. Dies klingt
zunächst paradox, ist aber Folge der zunehmenden Marktorientierung im
Energiesektor und der Umweltpolitik.
Das Argument, dass Atomstrom die
Energieversorgung preisgünstiger macht, kann das Öko-Institut entkräften. Der
Strompreis richtet sich nach dem teuersten Kraftwerk, das gerade noch
herangezogen wird, um den allgemeinen Strombedarf zu decken. Da dies in
Deutschland in der Regel Kohle- oder Gaskraftwerke sind, ändern längere
Laufzeiten von Atomkraftwerken also nichts an der Höhe der Strompreise. Es
steigt lediglich die Gewinnmarge von denjenigen Unternehmen, die an
Atomkraftwerken beteiligt sind.
Aber auch die verbreitete Annahme, dass
ein längerer Betrieb der Kernkraftwerke CO2-Emissionen vermeiden würde, ist bei
näherem Hinsehen brüchig. Denn durch den CO2-Zertifikatehandel sind die für
Deutschland "zugestandenen" CO2-Emissionen zunächst bis zum Jahr 2012
"gedeckelt". Vermiedene Emissionen aus länger laufenden Atomkraftwerken führen
dazu, dass zumindest vor diesem Zeithorizont an anderer Stelle höhere Emissionen
erfolgen können. Vielmehr können diejenigen Stromunternehmen, die Atomkraftwerke
betreiben, bei einer Laufzeitverlängerung nochmals Geld verdienen, indem sie
ihnen zugeteilte Emissionszertifikate an andere Anlagenbetreiber verkaufen.
Alternativ können sie Maßnahmen zur Reduktion von CO2-Emissionen in ihren
eigenen fossil betriebenen Kraftwerken einfach unterlassen.
Eine
Verlängerung der Laufzeiten würde außerdem die fortschreitende Entwicklung der
Erneuerbaren Energien behindern. Neue Ideen zur Energieerzeugung und -effizienz
würden dabei im Keim erstickt. Doch gerade in der verstärkten Nutzung der
regenerativen Energieträger liegt das Potential zu einer risikofreien,
emissionsfreien Energielandschaft.
Der Betrieb eines Atomkraftwerks
stellt aufgrund verschiedener Risikofaktoren eine Bedrohung für Menschen und
Umwelt dar. Zum einen ist bei allen Reaktoren heutiger Bauart ein schwerer
Unfall mit einer massiven Verseuchung weiter Landstriche nicht auszuschließen.
Die in unterschiedlichem Umfang und Wirksamkeit vorhandenen Sicherheitssysteme
können diesen Falls zwar unwahrscheinlicher machen, aber physikalisch nicht
ausschließen. Die Erfahrung zeigt: Schon die Planung eines Atomkraftwerks kann
Fehler aufweisen und auch beim Bau, Betrieb und der Wartung der Anlagen können
menschliche Fehlleistungen nicht ausgeschlossen werden. Zudem lassen auch
sorgfältig geplante Störfallübungen nicht zu, das Verhalten der
Betriebsmannschaft und die Reaktionen der komplexen Anlagen im Ernstfall
vollständig vorherzusehen.
Zum anderen gibt es gegen terroristische
Angriffe auf kerntechnische Anlagen nur begrenzt Schutz. Außerdem kann durch
Weitergabe von Know-how oder Materialien ein militärischer Gebrauch erfolgen.
Die Entsorgung radioaktiver Abfälle ist ebenfalls ein drängendes
Problem. Einzelne Bestandteile in hochradioaktiven Abfällen verlieren ihre
gefährlichen Eigenschaften aufgrund der langen Halbwertszeiten erst im Verlauf
von Hundertausenden oder Millionen von Jahren. "Wir halten eine bald mögliche
Realisierung der Endlagerung für erforderlich, um die Risiken zu begrenzen",
betont Michael Sailer, stellvertretender Geschäftsführer und Koordinator im
Bereich Nukleartechnik & Anlagensicherheit am Öko-Institut, Büro
Darmstadt.
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.