Boeing-Absturz - Gesellschaft für Opferrechte rechnet mit Schadensersatzverfahren
Archivmeldung vom 14.03.2019
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Freigeschaltet durch André OttDer Jurist Christof Wellens, Vorsitzender des Vereins "Crash - Gesellschaft für Opferrechte", sieht auf Boeing nach dem Absturz einer 737 Max 8 in Äthiopien Schadensersatzforderungen von Angehörigen zukommen.
Wellens sagte der "Heilbronner Stimme": "Es ist sicherlich nach jetzigem Stand einigermaßen wahrscheinlich, dass sich aus dem Fall der abgestürzten Boeing 737 Max ein Schadensersatzverfahren entwickeln wird. Es stellen sich drängende Fragen: Hat der Hersteller nach dem ersten Absturz des Typs richtig gehandelt? Hätte man die Baureihe bis zur endgültigen Klärung der Ursache am Boden halten müssen? Eine unzureichende Warnung vor Risiken würde auch schon für eine Haftung ausreichen."
Wellens betonte: "Sollte ein technischer Fehler vorliegen, dann wäre der Hersteller Boeing in Haftung, der Gerichtsstand wäre am US-Firmensitz." Er fügte hinzu: "Unser Verein ist in erster Linie darauf angelegt, Angehörigen konkrete Hilfe in der Not zu bieten. Wir geben auch Rat vor juristischen Schritten und können bei Schadensersatzfragen eine der führenden Kanzleien in den USA vermitteln."
Wellens hat selbst Angehörige der Opfer des 2015 abgestürzten Germanwings-Fluges vertreten und ist Vorsitzender des Opferhilfevereins. Der aus Angehörigen der Concorde-Katastrophe von Paris hervorgegangene Verein bietet seit seiner Gründung im Jahr 2001 Betroffenen materielle und immaterielle Unterstützung an.
Wellens sagte weiter zur Boeing-Katastrophe in Äthiopien, bei dem auch fünf deutsche Staatsbürger ums Leben gekommen sind: "Die Krisenkommunikation verstehe ich nicht. Warum hat Boeing nicht selbst ein Startverbot erwirkt? Stattdessen lässt man zu, dass ein Land nach dem anderen Flugverbote erlässt. Oder Auflagen beschließt, beispielsweise, dass ein Pilot der Boeing 737 Max mindestens 1000 Flugstunden vorweisen muss. Dann fragt sich doch jeder Passagier: Soll ich in ein Flugzeug einsteigen, das so schwer beherrschbar ist?"
Der Jurist fordert eine Vereinheitlichung der Schadensersatz-Angebote an Angehörige: "Aus unserer Sicht muss der Schadensersatz grenzüberschreitend angeglichen werden. Im Augenblick erleben wir oft noch ein Wettrennen um den Gerichtsstand und das anwendbare Recht. Flugzeuge sind fast immer mit Passagieren aus unterschiedlichen Nationen besetzt. Doch die Leistungen sind von Land zu Land sehr unterschiedlich, in Deutschland werden Angehörige zum Teil sehr schlecht entschädigt. Es geht hier aber um ein katastrophales Ereignis, das bei einem Flugzeugabsturz immer mit dem Tod verbunden ist. Deshalb sollte sich der Schadensersatz in etwa an der Todesfallleistung orientieren, die in der Regel bei Lebensversicherungen ausgezahlt wird."
Zur Kontaktaufnahme mit Angehörigen des Unglücksfluges von Äthiopien sagte er: "Erfahrungsgemäß dauert es einige Tage, bis sich entferntere Angehörige von Todesopfern melden, weil die unmittelbaren Angehörigen große Schwierigkeiten haben, die Katastrophe zu verarbeiten. Ein Elternteil, ein Ehepartner oder Kind ist unvermittelt und unerwartet aus dem, Leben geschieden - das löst eine Schockstarre aus."
Wellens weiter: "Als Verein können wir schon in einer frühen Phase nach dem Unglück Hilfe leisten. Als beim Absturz der Germanwings-Maschine Kinder beide Elternteile verloren hatten, haben wir Geld für den Unterhalt zur Verfügung gestellt. Unser Verein wurde bei seiner Gründung von Angehörigen der Concorde-Katastrophe gefördert. Sie wurden damals nach US-Maßstäben recht großzügig entschädigt, und unterstützten uns mit einer großherzigen Spende. Deshalb können wir auch jetzt den Angehörigen der deutschen Opfer aus der in Äthiopien abgestürzten Boeing unsere Unterstützung anbieten."
Die Katastrophe von Äthiopien lasse grundlegende Zweifel am Beförderungsmittel Flugzeug aufkommen. Wellens: "Das Unglück mit der Boeing 737 Max gibt mir sehr zu denken. Vor dem Absturz der Germanwings-Maschine schien es unvorstellbar, dass ein Pilot in Selbstmordabsicht in einen Berg fliegt und viele Menschen mit in den Tod reißt. Die Katastrophe in Äthiopien ist bemerkenswert, weil es eine ganz neu entwickelte Maschine betrifft. Boeing hat innerhalb relativ kurzem Abstand zwei Jets diesen Typs verloren, ohne erkennbaren Anlass. Bislang konnte man immer behaupten, Flugzeuge seien die sichersten Transportmittel, aber jetzt bekommt dieses Bild tiefe Kratzer."
Er fügte hinzu: "Es ist ein dramatischer Vorgang für einen Hersteller, wenn ein kompletter Luftraum für ein neu entwickeltes Flugzeug gesperrt wird." Und: "Ich selbst würde derzeit nicht einsteigen in das zwei Mal verunglückte Boeing-Modell. Das wäre mir eindeutig zu risikoreich."
Quelle: Heilbronner Stimme (ots)