Millionenbetrug beim Autobahnausbau der A 72: Insider gibt erstmals Fernsehinterview zu Korruption, Schmiergeldern und geplünderten Sozialversicherungskassen
Archivmeldung vom 18.06.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Staatsanwaltschaft Chemnitz weitet im Korruptionsskandal um den Ausbau der Autobahn A 72 zwischen Chemnitz und Stollberg ihre Untersuchungen aus. Es wird nicht mehr nur gegen Techniker, Ingenieure und Vermesser, sondern auch gegen amtliche Bauaufseher, Behördenmitarbeiter und Kommunalbeamte ermittelt.
Nach
Einschätzung der Staatsanwaltschaft ist insgesamt ein Schaden von
mindestens 27 Millionen Euro entstanden. Darüber berichtet das von
Michael Opoczynski moderierte ZDF-Magazin "WISO" in der Sendung am
Montag, 18. Juni 2007, 19.25 Uhr.
Erstmals äußert sich ein Insider im Fernsehen. Der ehemalige
Oberbauleiter der Strabag stand im Mittelpunkt des Betrugs und musste
sich bereits vor Gericht verantworten. Er erklärt im Interview mit
dem ZDF-Wirtschaftsmagazin "WISO", wie Rechnungen und
Nachtragsforderungen "passend" gemacht wurden. Zum Beispiel bei der
gefälschten Abrechnung einer Flutlichtanlage, die man für 1,4
Millionen Euro "gekauft" habe, die aber nie geliefert wurde. Der
Bauleiter bestätigt auch die manipulierte Abrechnung von
Hochwasserschäden in Millionenhöhe zum Zwecke der Beschaffung von
Bestechungsgeldern.
Am Anfang des Skandals stand die Ausschreibung für das
Ausbauprojekt A 72: "Begonnen hat dieser Wirtschaftskrimi mit einem
Dumpingangebot", so der leitende Oberstaatsanwalt Gerd Schmidt in
"WISO". Dadurch konnte der deutsch-österreichische Baukonzern Strabag
die Ausschreibung für sich entscheiden. Um trotz der Tiefstpreise
gewinnbringend arbeiten zu können, habe die Chemnitzer
Strabag-Niederlassung ein "kriminelles Netzwerk mit mafiösen
Strukturen" aus über 30 Sub-Sub-Unternehmen betrieben, zwischen denen
manipulierte Aufträge, gefälschte Rechnungen und Schmiergelder hin
und her geschoben wurden.
"Um Lohnkosten zu sparen, haben die Beteiligten auch die
Sozialversicherungskassen geplündert", erklärt Oberstaatsanwalt
Schmidt. "Bei Arbeiten, die besonders personalintensiv waren, hat man
Firmen gezielt in den Konkurs geschickt." Für die nicht gezahlten
Löhne sprang die Bundesagentur für Arbeit mit dem
Insolvenzausfallgeld ein. Der Chemnitzer IG Bau-Chef Hartmut Koch
berichtet von einer noch größeren Ungeheuerlichkeit: "Es hat
Arbeitnehmer gegeben, die mussten, um überhaupt einen Job auf der
Baustelle zu bekommen, eine Abtretungserklärung für ihr Insolvenzgeld
unterschreiben!"
Starke Kritik am Freistaat Sachsen kommt von MdB Peter Hettlich
(Grüne), Vize-Vorsitzender des Verkehrsausschusses des Bundestages:
"Der Freistaat hatte nicht nur die Verantwortung
für die Auftragsvergabe, sondern auch für die Bauaufsicht und die
Rechnungsprüfung. Es ist mir ein Rätsel, wie man über viele Jahre die
Umtriebe der Firma Strabag einfach geschehen ließ."
Quelle: Pressemitteilung ZDF