Skandal um Betrugs-Partikelfilter weitet sich aus
Archivmeldung vom 22.11.2007
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 22.11.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittÜber ein Jahr nachdem der Bundesregierung erstmals Untersuchungsergebnisse über minderwirksame Partikelfilter vorlagen, hat das Kraftfahrtbundesamt (KBA) jetzt für den überwiegenden Teil der betroffenen Systeme die Allgemeinen Betriebserlaubnisse (ABEs) gelöscht.
Inzwischen haben allerdings nach KBA-Angaben mindestens 40.000 - nach neuesten Informationen der DUH eher 60.000 - Autohalter unwissentlich weitgehend unwirksame und zum Teil den Motor gefährdende Betrugsfilter einbauen lassen.
Erst nachdem die Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH) diesen Skandal
vor mehr als drei Monaten öffentlich gemacht hatte, reagierte das KBA
in Flensburg mit der Anordnung und Durchführung von
Wirksamkeitstests, die sich zunächst über volle 14 Wochen hinzogen.
Inzwischen sind sämtliche Mangelsysteme, die überprüft wurden, bei
der amtlich angeordneten Nachprüfung wegen unzureichender
Filterleistung durchgefallen. Nach dem morgigen Freitag (dem 23.
November) - an dem das Verwaltungsgericht Dessau abschließend über
eine im Frühjahr angestrengte "Untätigkeitsklage" der DUH gegen die
Bundesregierung entscheidet - erwartet die DUH weitere Erkenntnisse
darüber, welche Informationen der Regierung bereits seit über einem
Jahr vorliegen und warum eine frühzeitige amtliche
Überprüfung der auffälligen Systeme ebenso unterblieb wie die
notwendige Information der Bevölkerung. Unmittelbar vor dem
Gerichtstermin hat das Umweltbundesamt einen Teil der Untersuchungen
veröffentlicht, von deren Inhalten die DUH seit Herbst 2006 erfolglos
und schließlich mit Hilfe eines Einsichtbegehrens nach
Umweltinformationsrecht Kenntnis erlangen wollte. Danach belief sich
die Filterwirkung des GAT-Filters auf gerade einmal 8 Prozent -
gegenüber vorgeschriebenen mindestens 30 Prozent. Den strittigen
wesentlichen Teil der Untersuchung aus dem Jahre 2006 hält das UBA
hingegen - auf Weisung des Bundesumweltministeriums - weiterhin unter
Verschluss.
Die DUH wirft dem Bundesverkehrs- und dem Bundesumweltministerium
vor, die Öffentlichkeit und insbesondere Fahrzeughalter, die ihre
Diesel-Pkw nachrüsten wollen, bis heute nicht vor den Betrugsfiltern
gewarnt zu haben. Stattdessen hätten die zuständigen Ministerien
zugelassen, dass die betreffenden Unternehmen über drei Monate hinweg
Nebelkerzen werfen und sich fälschlich auf reine "Formfehler" oder
"unterschiedliche Interpretationen von Prüfvorschriften" herausreden
konnten.
Entgegen den Zusagen des Kraftfahrzeuggewerbes hat die DUH in
einer in der ersten Wochenhälfte durchgeführten Umfrage unter 40
Automobilwerkstätten festgestellt, dass insbesondere die Ketten
Pit-Stop in 10 von 15 befragten Betrieben und Vergölst in 6 von 14
Betrieben die mangelhaften Filter von GAT, Tenneco/Walker bzw.
Ernst-Apparatebau (Hagen) weiter anbieten. Bisher unbekannt sei
überdies, dass auch die von den Herstellern Landrover und Jaguar
eingebauten Original-Nachrüstfilter betroffen sind. Testanrufe bei
den jeweiligen Markenwerkstätten ergaben, dass diese Filter ebenfalls
weiter angeboten werden, obwohl es sich auch hier um GAT-Systeme
handelt.
"Ein Jahr Schweigen ist genug - wir fordern die zuständigen
Bundesminister Wolfgang Tiefensee und Sigmar Gabriel auf, den
Bundesbürgern endlich reinen Wein einzuschenken. Sie müssen alle
vorliegenden Prüfdaten veröffentlichen und mit dem aktiven Widerruf
der Zulassungen minderwertiger Filtersysteme den betroffenen
Autohaltern bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche gegenüber
Einbauwerkstätten und Herstellern helfen, ohne Mehrkosten anstelle
der Betrugsfilter funktionierende Systeme eingebaut zu bekommen",
forderte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch.
Wesentlicher Hintergrund für den Partikelfilterskandal sind
schwerwiegende Mängel bei den Zulassungsbestimmungen für
Partikelminderungssysteme (geregelt in der Anlage 26 zur
Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung, StVZO). Der dort festgeschriebene
vollständige Verzicht auf Wirkungskontrollen der Systeme bei der
Zulassung durch das KBA, das Fehlen eines praktikablen Kurztests
sowie der Verzicht auf eine Funktionskontrolle von Filtern im Rahmen
der sogenannten "periodischen Abgasuntersuchung" (AU) hat
offensichtlich Unternehmen zur Entwicklung unwirksamer Systeme
motiviert.
Als die DUH Mitte August die Bundesbürger öffentlich vor diesen
Betrugsfiltern warnte, schwiegen die Behörden zu den DUH-Vorwürfen.
Die Öffentlichkeit täuschte GAT mit der Erklärung, man habe lediglich
versehentlich technische Modifikationen an den Filtersystemen nicht
gemeldet, es handele sich also um "Formfehler", die nun geheilt
würden. Die Filterwirksamkeit hingegen sei auf jeden Fall gegeben.
Gleichzeitig ging GAT vor Gericht gegen die DUH vor und verwickelte
(wie im Übrigen auch der Hersteller Bosal) die Umwelt- und
Verbraucherschutzorganisation in diverse Rechtsverfahren.
Zwischenzeitlich ermittelt die Staatsanwaltschaft Essen gegen GAT
wegen des Verdachts auf Urkundenfälschung. Ein GAT-Sprecher erklärte
hierzu jetzt gegenüber SPIEGEL-Online: "Bewusst falsche Werte in den
Antragsunterlagen sind uns nicht bekannt". Diese Aussage ist ganz
offensichtlich unwahr. Nach Informationen der DUH wurden
beispielsweise Original-Messprotokolle eines bereits im Jahr 2006 an
einem Landrover getesteten GAT-Systems, die das Versagen des Filters
auswiesen, in ihr Gegenteil verkehrt: Die negativen Ergebnisse wurden
sowohl in den Prüfberichten als auch in den dazugehörigen
Messprotokollen in positive Werte umgewandelt und als Grundlage für
die beim KBA eingereichten Anträge auf Allgemeine Betriebserlaubnis
(ABE) verwendet.
Das Kraftfahrtbundesamt hat der DUH bestätigt, erstmals durch Pressemitteilungen der DUH im August 2007 überhaupt auf die Betrugsfilter aufmerksam geworden zu sein. Damit zeigt sich, dass die Prüfvorschrift nach Anlage 26 StVZO in der vorliegenden Form nicht ausreicht, um mangelhafte oder betrügerische Partikelminderungssysteme rechtzeitig ausfindig zu machen. "Die bisherige Regelung, vollständig auf amtliche Wirksamkeitskontrollen zu verzichten, muss schnellstmöglich korrigiert werden", fordert Resch. Nachdem die zuständigen Behörden die Fehlerhaftigkeit der Prüfvorschrift hinsichtlich der geforderten Kontrolle weiterhin ignorieren, werde die DUH noch im Dezember ein Experten-Fachgespräch zur Entwicklung geeigneter Kurztests einberufen. Auf dieser Basis solle die Bundesregierung dann gedrängt werden, einen praktikablen Wirksamkeits-Kurztest für Partikelminderungssysteme zu entwickeln und im Rahmen der periodischen Abgasuntersuchungen (AU) vorzuschreiben.
Quelle: Pressemitteilung Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH)