Glyphosat: Aurelia Stiftung lässt Genehmigungsverlängerung der EU-Kommission vom EU-Gericht überprüfen
Archivmeldung vom 10.07.2023
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Freigeschaltet durch Mary SmithErstmals hat eine Nichtregierungsorganisation in der EU die rechtliche Überprüfung der Genehmigung eines Pestizid-Wirkstoffs durchgesetzt. Dies schließt auch ein Verfahren vor dem EU-Gericht ein.
Die EU-Kommission hat das von der Aurelia Stiftung im Januar 2023 eingeforderte Recht auf Einleitung des Überprüfungsverfahrens der Glyphosat-Zulassungsverlängerung in einem Schreiben von Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides anerkannt. Bislang konnten Umweltverbände die Genehmigungen für Pestizid-Wirkstoffe nicht von den Europäischen Gerichten überprüfen lassen. Die maßgebliche EU-Verordnung 1367/2006 wurde erst 2021 an die völkerrechtlich verbindliche Aarhus-Konvention angepasst. Die Aurelia Stiftung hatte sich gemeinsam mit anderen Verbänden für dieses nun geschaffene Klagerecht der Verbände eingesetzt.
Thomas Radetzki, Vorstand der Aurelia Stiftung: "Die Aurelia Stiftung wird nun gegen die Zulassungsverlängerung beim Europäischen Gericht klagen, weil Glyphosat nicht nur eine Vielzahl von Beikräutern abtötet, sondern auch Bienen, bestäubende Insekten und Amphibien schädigt. Mit diesem Verfahren betreten wir juristisches Neuland, um die für uns alle bedrohliche Zerstörung der Artenvielfalt durch Ackergifte aufzuhalten. Zugleich möchten wir mit diesem Verfahren die Beteiligung von gemeinnützigen Organisationen an den uns alle betreffenden Entscheidungen der EU-Organe stärken."
Nach Auffassung von Rechtsanwalt Dr. Achim Willand (Kanzlei [GGSC], Berlin), der die Aurelia Stiftung in dem Verfahren vertritt, verstößt die Praxis der EU-Kommission, ausgelaufene Wirkstoff-Genehmigungen während der Verfahren für eine Anschlussgenehmigung großzügig zu verlängern, gegen das maßgebliche EU-Recht.
Rechtsanwalt Dr. Achim Willand: "Die Argumentation der EU-Kommission im Glyphosat-Verfahren läuft darauf hinaus, dass Alt-Genehmigungen jahrelang verlängert werden können, obwohl Risiken noch nicht hinreichend bewertet werden konnten. Dies widerspricht dem elementaren Prinzip des EU-Pflanzenschutzrechts, dass nur nachweislich für Gesundheit und Umwelt unschädliche Pestizide verwendet werden dürfen."
Hauptgrund für die Verzögerung in der seit über 3 Jahren laufenden Risikobewertung für Glyphosat sind erhebliche Datenlücken und offene methodische Fragen. So konnten beispielsweise die Auswirkungen von Glyphosat auf Wasserorganismen, Rückstände in Produkten sowie Risiken für Bienen aufgrund von Datenlücken nicht abschließend bewertet werden. Die Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bestätigt diese weiterhin bestehenden Lücken der Risikobewertung in ihrer öffentlichen Erklärung vom 6. Juli 2023.
Rechtsanwalt Dr. Achim Willand: "Es ist inakzeptabel, dass die Kommission trotz möglicher Risiken für Umwelt und Gesundheit die Ausnahmeregelung nutzt, um solche nicht auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft vollständig geprüften Pestizide jahrelang weiter im Verkehr zu halten. Die von der Aurelia Stiftung jetzt angekündigte Überprüfung vor dem EU-Gericht ist notwendig."
Hintergrund
Die Glyphosat-Genehmigung ist Ende 2022 ausgelaufen. Die behördliche Risikoprüfung für die Erneuerung der Genehmigung konnte noch nicht abgeschlossen werden. Ausnahmsweise darf die Kommission eine eigentlich erloschene Genehmigung vorläufig verlängern, bis das laufende Verfahren abgeschlossen werden kann. Voraussetzung ist allerdings, dass der Antragsteller - hier das Konsortium der Glyphosat-Hersteller - für die Verzögerung nicht verantwortlich ist.
Die Kommission sieht sich zu der ausgesprochenen Verlängerung verpflichtet, ohne dass Belange des Gesundheits- und Umweltschutzes zu berücksichtigen wären. Sie ist ferner der Auffassung, dass die vorhandenen Datenlücken nicht in die Verantwortung der Hersteller fallen. In ihrer an die Aurelia Stiftung gerichteten Entscheidung lässt die Kommission außerdem erkennen, dass sie die Glyphosat-Genehmigung nochmals verlängern wird, wenn das Genehmigungsverfahren sich weiter hinzieht.
Quelle: Aurelia Stiftung (ots)