Doris Reisinger: Ende des "Mythos" vom "Chefaufklärer" Papst Benedikt
Archivmeldung vom 21.01.2022
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićDie Philosophin Doris Reisinger, Verfasserin einer kritischen Analyse des Pontifikats von Papst Benedikt XVI., sieht das Münchner Missbrauchsgutachten der Kanzlei WSW als Wende in der Wahrnehmung des früheren Papstes. "Der Hammer dieses Gutachtens ist: Wir wissen jetzt, dass Ratzinger bereit ist, öffentlich zu lügen, um sich seiner Verantwortung zu entledigen", sagte Reisinger dem "Kölner Stadt-Anzeiger". "Wie dreist oder wie verzweifelt muss man sein, um so etwas zu tun?"
Reisinger, die ihre eigene Missbrauchsgeschichte in der katholischen Kirche in mehreren Büchern dargestellt und die Haltung der Kirche zu sexuellem und spirituellem Missbrauch analysiert hat, hofft nach Benedikts Einlassungen in dem Gutachten auf ein Ende des "Mythos" vom Chefaufklärer. Dieser Ruf Ratzingers sei in weiten Kreisen bis heute ungebrochen.
Im Umgang der Kirche mit Missbrauch und mit Betroffenen herrsche weiter "die kalte Logik des kirchlichen Strafrechts vor", kritisierte Reisinger. "Bis heute müssen Betroffene damit rechnen, dass ihnen mit einem grundsätzlichen Misstrauen begegnet wird. Das ist ein Urteil über den Aufarbeitungsprozess, den die Kirche zu unternehmen vorgibt. Das ist mit Blick auf München aber auch ein verheerendes Urteil über Kardinal Reinhard Marx."
Die 39-Jährige forderte die Übernahme persönlicher Verantwortung. "Die Zeit der Gutachten ist vorbei." Überdies sei - neben Wiedergutmachung - ein Systemwechsel nötig, der endlich mit den begünstigenden Faktoren für Missbrauch in der Kirche aufräumt. "Das Bittere ist: Ich rechne nicht damit." Damit richte sich der Blick auf Politik und Justiz. Von entscheidender Bedeutung sei die Frage: "Werden Politik und Justiz die Samthandschuhe fallen lassen, mit denen sie die Kirche allzu lange angefasst haben?"
Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger (ots)