Seit Halle-Anschlag 2019: Behörden registrieren Zunahme antisemitischer Straftaten in Sachsen-Anhalt
Archivmeldung vom 08.10.2022
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićZum Jahrestag des rechtsextremen Terroranschlags auf die Synagoge in Halle beobachten Sachsen-Anhalts Sicherheitsbehörden eine Zunahme judenfeindlicher Straftaten. Das berichtet die in Halle erscheinende Mitteldeutsche Zeitung.
Registrierte Sachsen-Anhalts Polizei im Jahr 2019 noch 70 judenfeindliche Straftaten, stiegen die Deliktzahlen laut Landesinnenministerium in den Folgejahren erst auf 87, dann auf 111. Im laufenden Jahr zeichne sich demnach erneut ein leichter Anstieg ab, so das Ministerium. Überwiegend handele es sich um Volksverhetzung, Sachbeschädigung und Beleidigung.
"Wichtiger aber ist: Die Vorfälle werden von den Betroffenen offener, aggressiver erlebt", warnte Wolfgang Schneiß, Ansprechpartner der Landesregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus gegenüber dem Blatt. "Hier waren die Corona-Proteste ein Beschleuniger."
Schneiß, dessen Posten in der Staatskanzlei in Magdeburg angesiedelt ist, sagte zum Jahrestag: "Der Terroranschlag vom 9. Oktober 2019 fordert uns alle zu erhöhter Wachsamkeit heraus. Zugleich beobachten wir, dass antisemitische Vorfälle auch in Sachsen-Anhalt für die Betroffenen weit überwiegend niedrigschwellig, als alltägliche Phänomene erlebt werden." Ein Treiber für die zunehmend offenere Judenfeindlichkeit seien die Corona-Proteste seit 2020 gewesen. "Antisemitismus war schon immer ein Türöffner für radikale Denkungsweisen unterschiedlichster Couleur und hat sich in der Pandemie geradezu als ein Bindeglied für ganz unterschiedliche Extremismen erwiesen", so Schneiß. Einige Protestierende hatten sogenannte Judensterne auf Corona-Demos getragen - als würden sie durch die Corona-Politik genauso unterdrückt wie die entrechteten und ermordeten Juden im Nationalsozialismus.
Der rechtsterroristische Anschlag von Halle jährt sich am Sonntag zum dritten Mal. Am 9. Oktober 2019 hatte ein damals 27-jähriger Rechtsterrorist versucht, mit Schusswaffen und Granaten die Synagoge in der Humboldtstraße zu stürmen. Nur die gesicherte Tür des Gotteshauses verhinderte ein Blutbad - am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur beteten im Inneren rund 50 Juden. Der Attentäter erschoss zwei Passanten im Stadtgebiet und verletzte weitere Menschen schwer. Die von dem Terroristen live gefilmte Bluttat löste weltweit Bestürzung und Anteilnahme aus. Sachsen-Anhalts Regierungschef Reiner Haseloff (CDU) hatte Tage darauf erklärt: "Auch dem Letzten muss nun klar geworden sein: Deutschland hat ein Antisemitismus- und Rechtsextremismusproblem."
Mittlerweile kooperieren Sachsen-Anhalts Sicherheitsbehörden mit neuen Kontaktstellen für Betroffene von Judenfeindlichkeit: mit dem Antisemitismus-Beauftragten sowie mit der bundesweit aktiven Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus RIAS. Beide Stellen nehmen antisemitische Vorfälle auf - unabhängig von der Strafbarkeit.
"Ich erlebe aber seit dem Anschlag von 2019 in Sachsen-Anhalt auch ein Mehr an Problembewusstsein", sagte Schneiß dem Blatt. "Es hat viele starke Zeichen gerade aus der Zivilgesellschaft gegeben. Die brauchen wir weiterhin."
Quelle: Mitteldeutsche Zeitung (ots)