Neue BMU-Statistik: Mehr technische Defekte in alten AKW
Archivmeldung vom 10.05.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittÄltere Atomkraftwerke melden überdurchschnittlich viele sicherheitsrelevante Defekte. Das geht aus einer neuen Statistik des Bundesministeriums für Reaktorsicherheit (BMU) hervor, die dem ARD-Politikmagazin "Report Mainz" exklusiv vorliegt. Bei einer Reihe deutscher Druckwasserreaktoren nimmt die Zahl der "meldepflichtigen Komponenten- und Bauteildefekte" seit 1994 deutlich zu.
Den stärksten Anstieg technischer Defekte weist die Statistik für das Kernkraftwerk Philippsburg II aus. "Report Mainz" gegenüber stellt das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) fest: "Ein beobachteter Trend in den Zahlen ist Anlass für vertiefende Untersuchungen."
Von den 17 deutschen Atomkraftwerken, die heute noch eine Betriebsgenehmigung haben, wurden aus dem Kernkraftwerk Krümmel 82-mal und damit am häufigsten sicherheitsrelevante Defekte gemeldet. Das Kernkraftwerk Brunsbüttel kam auf 80 Defekte, Biblis B auf 78 und Biblis A auf 66. Im gleichen Zeitraum meldeten dagegen das Kernkraftwerk Neckarwestheim II 19 technische Defekte und das Kernkraftwerk Isar II 20. Die Statistik ließ Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) auf Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (Bündnis 90/Grüne) erstellen. Sylvia Kotting-Uhl, die Atompolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, erklärte dazu in "Report Mainz": "Es kann nicht sein, dass nach einem solchen Wissen, wie wir es jetzt haben, diese Anfälligkeit alter Reaktoren, die ja noch von Jahr zu Jahr zunehmen wird, tatsächlich ernsthaft erwogen wird, die Laufzeiten gerade dieser alten Reaktoren zu verlängern. Das ist unverantwortlich."
Auch der schwedische Reaktor-Konstrukteur Lars Olov Höglund beurteilt die BMU-Statistik kritisch: "Irgendwann fangen die Teile an alt zu werden: verschlissen, verrostet, verbraucht aus verschiedenen Gründen und dann fängt diese Fehlerfrequenz an zu steigen. Alleine die Frequenz ist natürlich beunruhigend. Also je mehr Störfälle, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Störfall in einen Unfall oder in einen Super-GAU entwickelt." Lars Olov Höglund war Chef-Konstrukteur für Atomkraftwerke bei Vattenfall.
Gerade die Nachrüstung alter Atomkraftwerke birgt dabei neue, zusätzliche Risiken. Das geht aus internen Dokumenten des Bundesumweltministeriums hervor, die "Report Mainz" vorliegen. Die Dokumente aus dem Jahr 2007 stellen fest, dass "durch die höhere Anzahl an Nachrüstmaßnahmen mit all ihren Rückwirkungen auf die Anlage die Fehleranfälligkeit gestiegen ist". An einer anderen Stelle heißt es: "Bekannt gewordene Fehler bei der Ausführung von Nachrüstungen zeigen, dass mit den Nachrüstungen auch das Potential für die unbeabsichtigte Einführung zusätzlicher Fehler gestiegen ist. Dies ist kein Argument gegen Nachrüstungen an sich, sondern ein Argument dafür, dass mit den Nachrüstungen in vielen Fällen weniger zu erreichen ist, als erwartet werden könnte."
Ein Beispiel für Sicherheitsprobleme durch Nachrüstungsmaßnahmen sei die Umstellung der Sicherheitssysteme auf Computerprogramme, sagt Wolfgang Renneberg, der frühere Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im BMU. In "Report Mainz" erklärt Renneberg: "Es ist keine Software, kein Programm 100 Prozent fehlerfrei. Das gleiche gilt für elektronische Baugruppen. Auch die sind nicht fehlerfrei. Und es gibt auch keine 100-prozentige Methode, die alle möglichen Situationen vorwegnimmt, so dass ich diese Baugruppen und diese Elektronik und auch die Software so testen kann, dass ich absolut sicher bin, ein Fehler tritt nicht auf."
Das Bundesumweltministerium wollte "Report Mainz" gegenüber zum Thema "Risiken durch Nachrüstungsmaßnahmen" keine Stellungnahme abgeben.
Quelle: SWR - Das Erste "Report Mainz"