Total banal - genial!
Archivmeldung vom 29.11.2008
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 29.11.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Oliver RandakWäscheklammern, Eis am Stil, Kaffeefilter: Viele grandios simple Dinge wurden nicht von Wissenschaftlern in sterilen Labors erfunden, sondern von Hobby-Tüftlern - oder ganz zufällig. einestages zeigt Geistesblitze, die unser Leben verändert haben.
Eines Abends im Jahre 1905 ließ der elfjährige Frank Epperson aus
Kalifornien sein Limonadenglas auf der Veranda stehen. Ausgerechnet in
dieser Nacht sank die Temperatur im US-Sonnenstaat ungewöhnlich tief
und ließ die Brause am Rührstab festfrieren. Fasziniert hielt Frank am
nächsten Morgen die gefrorene Masse am Stäbchen in der Hand und leckte
daran. "Gar nicht mal so übel", dachte sich der Junge und präsentierte
die Entdeckung seinen Schulkumpels. Die waren von der handlichen,
kühlen Brause am Stäbchen ebenso begeistert wie er.
18 Jahre später - Epperson ist inzwischen ein gestandener
Limonadenhändler - erinnerte er sich an seinen "Eislutscher". Er lässt
ihn patentieren. Zwei Jahre später verkaufte er die Idee an einen
Nahrungsmittelhersteller. Unter dem Namen "Popsicle", wie Eppersons
Kinder den Eis-Lolli tauften, verkaufte sich der kühle Lutscher allein
bis 1928 rund 60 Millionen Mal. Dass ihn ein kleines Holzstäbchen
einmal zu einem reichen Mann machen würde, damit hatte der Elfjährige
an jenem Morgen auf der Veranda sicher nicht gerechnet.
Wenn es um Erfindungen geht, haben die meisten Menschen sofort das
Bild vom Genie im weißen Laborkittel vor Augen. Man denkt an Tafeln,
vollgeschrieben mit komplizierten Formeln, Labore voller Supercomputer
und gigantische Denkfabriken, in denen Firmen unter höchster
Geheimhaltung die neuesten Errungenschaften für die Menschheit
ertüfteln. Dabei sind viele der einstigen Innovationen, die uns heute
ständig im Alltag begegnen, mitnichten das Kalkül professioneller
Neudenker.
Das Rezept für eine bahnbrechende Idee scheint ganz einfach: "Jede
Erfindung muss der Menschheit dienen", nennt Artur Fischer sein
Erfolgsgeheimnis. Der 88-Jährige muss es wissen. Fischer ist einer der
erfolgreichsten und aktivsten Erfinder der Welt. Über tausend Patente
sind auf seinen Namen registriert, mehr nur noch für Thomas Alva
Edison, dem Vater der Glühbirne. Der gelernte Schlosser Fischer erfand
1948 den elektrischen Feueranzünder, revolutionierte nur ein Jahr
später die Fotografie mit seinem "Magnesium-Blitzlichtgerät mit
Verschlusssynchronisation" und wurde 1958 weltberühmt - als Erfinder
des Fischer-Dübels.
Der kleine Plastikstopfen sollte das Leben der Handwerker deutlich
erleichtern. Denn die Dübel, die bereits existierten, hielten einfach
nicht fest genug in der Wand und waren unkomfortabel zu installieren.
Wer vor den fünfziger Jahren beispielsweise eine Wandlampe befestigen
wollte, musste ein Loch stemmen, einen Holzdübel eingipsen - und beten,
dass es hielt. Dieser Missstand ließ den Tüftler einfach nicht los. Ein
besserer Dübel musste her. "Das erste Exemplar habe ich an einem
Samstagmittag von Hand aus einem Stück hochwertigem Nylon gefeilt",
erzählt Fischer. Dann habe er seine Erfindung in die Wand gehauen und
versucht, sie mit einem großen Hebel wieder zu entfernen. Aber "der
hielt bombenfest. Da wusste ich: Das ist es!"
Fischer hat Recht behalten. Der fischersche Spreizdübel feiert in
diesem Jahr seinen 50. Geburtstag. Bis heute werden rund 14,5 Millionen
Stück verkauft - pro Tag.
Ein anderes genial einfaches Produkt, das bis heute in nahezu
unveränderter Form auf dem Markt ist, wird in diesem Jahr 100 Jahre alt
- und beweist, das wir nicht alle Erfindungen Männern verdanken.
Schon seit längerem ärgerte sich die Dresdener Hausfrau Melitta
Benz über den lästigen Kaffeesatz zwischen den Lippen und den bitteren
Geschmack des koffeinhaltigen Getränks, das sie ihren Damen beim
wöchentlichen Kaffeekränzchen servierte. Damit sollte ein für allemal
Schluss sein! Die Gastgeberin schritt zur Tat: Sie griff nach einer
Konservendose und hämmerte Löcher in den Metallboden. Aus dem
Vokabelheft ihres Sohnes zog sie das Löschpapier heraus, schnitt es
zurecht und legte es auf den Dosenboden, füllte Kaffeepulver hinein und
goss heißes Wasser darüber. Fertig war der erste satzfreie
Filterkaffee. Zufrieden kredenzte sie das aromatische Heißgetränk ihren
Gästen, die der Hausfrau begeistert zu ihrem Geschick gratulieren.
Der Erfolg spornte Melitta an, sie experimentierte weiter, testete
und verfeinerte ihren Filter. Am 20. Juni 1908 meldete sie ihre
segensreiche Erfindung beim Kaiserlichen Patentamt zu Berlin an. Die
Behörde vermerkte den Gebrauchsschutz für einen mit "Filtrierpapier"
arbeitenden "Kaffeefilter mit auf der Unterseite gewölbtem Boden sowie
mit schräg gerichteten Durchflusslöchern".
Noch im selben Jahr gründete die Ex-Hausfrau mit gerade einmal 72
Reichspfennigen Startkapital das Familienunternehmen M. Bentz, später
schlicht Melitta. Der Rest ist Geschichte: Filterkaffee wurde zum
Nationalgetränk - und der Vorname der Erfinderin Kult.
Auf ganz ähnliche Art entstanden viele Dinge, die uns heute fast
täglich begegnen. Den Klettverschluss erdachte der Schweizer Ingenieur
George de Mestral 1941, als er nach einem Jagdausflug die Kletten aus
dem Fell seines Hundes zupfte. Auf den Tetra-Pak kam der schwedische
Ökonom Ruben Rausing, als er mal wieder einen Kasten Milch in schweren
Glasflaschen die Treppe zu seiner Wohnung hochschleppte. Und der
ungarische Journalist Lazlo Biro ärgerte sich über schmierende
Tintenfüller - und kam auf die Lösung des Problems, als er Kindern beim
Murmelspielen zusah. Der Legende nach soll der findige Biro gesehen
haben, wie eine Murmel durch eine Pfütze rollte und auf dem trockenen
Asphalt daneben einen Strich hinterließ. Dieses Prinzip steckt bis
heute in allen Kugelschreiberspitzen.
Doch nicht immer ist es so einfach, eine gute Idee zu haben.
Während die Erfinder von Eis am Stiel, Kaffeefilter oder
Klettverschluss allesamt einer spontanen Eingebung gefolgt waren und
damit sogleich einen Volltreffer landeten, tat sich William Painter
(1838-1906) schwer. Der 1858 in die USA eingewanderte Ire wollte
unbedingt als Erfinder in die Geschichte eingehen. Unermüdlich tüftelte
er in seiner Stube, überzeugt davon, eines Tages eine lukrative
Entdeckung zu machen. Erst entwickelte er einen Münzprüfer, dann einen
zur Liege umwandelbaren Eisenbahnsitz, später eine Papierfaltmaschine
und einen Eierköpfer. Nichts davon brachte ihm Ruhm oder Geld.
Doch der leibhaftig gewordene Daniel Düsentrieb gab nicht auf. Nach
über 80 Patentanmeldungen gelang ihm 1891 endlich ein Meisterstück -
der Zeitgeist kam ihm zur Hilfe: Damals wurden Getränke mit Kohlensäure
immer populärer. Doch der Transport der sprudelnden Getränkeflaschen
war problematisch. Entweder schlossen die Kork-, Porzellan oder
Metallverschlüsse zu wenig ab, sodass die Kohlensäurebläschen und damit
der beliebte Prickeleffekt verloren gingen. Oder sie wurden regelmäßig
in die Luft gepustet, da sie dem Druck in der Flasche nicht standhalten
konnten. Im Ergebnis hatte man damals nach dem Einkauf von Limonade
oder Bier entweder eine klebrige Schweinerei in der Tüte oder eine
abgestandene Brühe im Mund. Genau hier sah Painter seine große Chance.
Er präsentierte ein kleines Wegwerfobjekt, das den Druck in der Flasche
auf 24 (später 21) Zacken verteilte und diese mit seiner innen
eingelegten Korkscheibe luftdicht abschloss. Er nannte dieses Ding
"Kronkorken" - und es katapultierte ihn in den so lang ersehnten
Erfinder-Olymp. 1893 gründete Painter die Firma "Crown Cork and Seal
Company", heute "Crown Holdings Inc." - eine der weltgrößten Hersteller
für Kronkorken und andere Getränke-Artikel.
Die Maschine zur Produktion und zum Aufsetzen des Kronkorkens erfand
Painter übrigens gleich mit. Außerdem klemmte er sich hinter die
Erfindung eines angemessenen Flaschenöffners - was ihm allerdings mehr
schlecht als recht gelang. Er selbst soll zum Öffnen von Flaschen
lieber den Gebrauch von Messern, Schraubendrehern, Nägeln oder
Eispickel empfohlen haben.
Doch woran erkennt ein Erfinder eigentlich, ob seine Idee Erfolg
verspricht? Dübel-Vater Artur Fischer folgte stets einer genial
einfachen Faustregel: Er habe immer nur in die Augen der Menschen
geschaut, wenn er ihnen eine neue Erfindung präsentierte. "Man sieht
doch sofort, wenn da was leuchtet."